Kultur

Freundliche Übernahme Deutschlands durch die Schweiz

von ohne Autor · 19. September 2014

Ob Minarett-Verbot, Steuerflucht, Kavallerie oder Fluglärm: Selten wurde zwischen Schweizern und Deutschen so ausgiebig die rhetorische Keule geschwungen wie in jüngster Zeit. Der Schweizer Filmemacher und TV-Satiriker Viktor Giacobbo zeigt in seinem neuen Film den einzig wahren Ausweg für die Querelen.

"Der große Kanton" versteht sich als "dokumentarische Konversation zur Beilegung eines nachbarschaftlichen Konflikts" und folgt dem Vorbild US-amerikanischer und britischer Mockumentarys. Im Gegensatz zu Genre-Vertretern wie Michael Moore ("Bowling for Columbine") oder Sacha Baron Cohen ("Borat") zieht Giacobbo allerdings niemanden durch den Kakao. Wie schon der Titel verspricht, handelt es sich um ein auf viele kleine Sequenzen heruntergebrochenes Gespräch mit Politikern, Künstlern und Wirtschaftsvertretern beiderseits des Bodensees über die Vorzüge eines Beitritts der Bundesrepublik zur Eidgenossenschaft. Eine absurde Idee? Das Gegenteil zu beweisen – wenngleich auf satirische Art –, ist der rote Faden dieses Films.

Haltung zum Geld

In den Interviews werden die Befragten nicht müde zu betonen, dass beide Seiten von einer um 865 Prozent vergrößerten Schweiz mit einem dann siebenmal so hohen Bruttosozialprodukt nur profitieren könnten. Nach Auffassung der Schweizer Bundesrätin und früheren Bundespräsidentin Doris Leuthard von der christdemokratischen CVP wäre Deutschland als "Zahlmeister Europas" endlich seine Geldsorgen los. Und die Schweiz hätte neben einem Zugang zum Meer endlich auch die heiß ersehnte Flotte, auch wenn allerorten nur von einer freundlichen Übernahme die Rede ist. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi lobt gerade die jahrhundertelange pazifistische Tradition. Einzig die sich im Bankgeheimnis manifestierende Einstellung zum Geld bereitet ihm Bauchschmerzen. Grünen-Chef Cem Özdemir träumt nicht zuletzt vom neuen Gewicht Baden-Württembergs. Ganz zu schweigen von den gemeinsamen kulturellen Traditionen, die immer wieder beschworen werden. Mit seinen pointierten Betrachtungen zu politischen Strategien der Eidgenossen erweist sich der Schriftsteller Peter von Matt auch unter diesen Umständen als einer der profundesten und beweglichsten Denker seines Landes.

Die Gespräche, in denen ehemalige oder amtierende Minister, Diplomaten und Volksvertreter eine unerwartete Lust am satirischen Gedankenspiel beweisen, ergeben überdies, dass die Grund-Idee des Films keinesfalls eine Kopfgeburt ist. Vor wenigen Jahren hatte ein nationalkonservativer Schweizer Nationalrat tatsächlich vorgeschlagen, den grenznahen Regionen eine Zukunft unter rot-weißem Banner zu erleichtern. Einige krisengebeutelte norditalienische Kommunen zeigten sich begeistert.

Merkels Diktatur

Nach alter Mockumentary-Schule stricken Sketche, improvisierte Szenen und Animationen die Argumentationsmuster weiter, treiben sie mitunter ins Absurde. So begegnen wir "Swim People", die die Flucht durch den Bodensee wagen, um "Merkels Diktatur" zu entkommen. Wer nicht allzu sehr im Schweizer Satireprogramm bewandert ist, bei dem zünden Giacobbos kostümierte Parodie-Einlagen hingegen nicht so recht.

Wesentlich mehr Tiefe bieten neben den Konversationen allerdings die Begegnungen im wirklichen Leben. So stoßen wir in Schwaben und Baden auf Beispiele einer Verbundenheit mit der Schweiz, die außerhalb jener Region kaum bekannt sein dürften. Dort hält sich die Begeisterung für Giacobbos Forderung allerdings in Grenzen.

Mag dem Film nach einiger Zeit auch die dramaturgische Puste ausgehen: Die zugespitzte Darstellung zweier Gesellschaften, die ebenso viel Verbindendes wie Trennendes haben, ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch erkenntnisreich. Nicht zuletzt durch die historischen Exkurse in jene Zeiten, als eidgenössische Übernahmen alles andere als freundlich waren. Ganz nebenbei stellt sich dabei der verlockende, wenn auch hoffnungslos naive Wunsch an die internationale Politik ein, gerade dann, wenn es mal wieder knirscht, mehr Humor zu wagen und Schranken im Kopf fallen zu lassen.


Info:"Der große Kanton... und alle Probleme mit Deutschland sind Geschichte" (Schweiz 2013), ein Film von Viktor Giacobbo, mit Viktor Giacobbo, Joschka Fischer, Gregor Gysi, Doris  Leuthard, Gerhard Polt u. a., 85 Minuten, OmU

Ab sofort im Kino

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