Kultur

Freier Sex und Kasernengeist

von ohne Autor · 8. August 2014
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Welche Chancen haben alternative Formen eines Gemeinwesens, wenn krisengeplagte Politiker die Alternativlosigkeit predigen? „Freiland“ wirft einen satirischen Blick auf das  Aussteigertum in Zeiten der Globalisierung.


Wer wird schon als Revoluzzer geboren? Niels Deboos, der an einer Berliner Schule Deutsch und Geschichte unterrichtet, sicherlich nicht. Doch eines Tages stinkt ihm das Leben im Zeichen von Wirtschafts- und Finanzkrisen, die weltweit einander ablösen und die Regierung hierzulande als Marionette der taumelnden Kapitalisten erscheinen lassen, derart, dass er dem Staat, also der Bundesrepublik, den Rücken kehrt. Allerdings ohne dabei das Land zu verlassen: Vor den Toren der Hauptstadt gründet er sein eigenes Reich: Freiland. Gedacht als ein Ort autarken Lebens und Wirkens, abgekoppelt von Bankencrashs und Rettungsschirmen.

Der gleichnamige Film erzählt nicht nur von der Utopie, die der geschasste Pädagoge mit seinen Mitstreitern in einem brandenburgischen Dorf in die Realität umzusetzen bemüht ist. Es geht auch darum, wie sich Menschen ändern, wenn sie sich im Zeichen ebendieser Utopie zusammentun und ein von außen bedrohtes Gemeinwesen errichten: Was gelten propagandierte Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung, mit denen Deboos und sein zunächst engster Vertrauter, der Untergangsprophet Christian Darré, eine schillernde Gruppe von Aussteigern in ein heruntergekommenes Schloss gelockt haben, wenn es gilt, das, was gerade so mühevoll aufgebaut wurde, nach außen zu verteidigen? Wie stark können Egoismus und Eifersucht unter solchen Umständen bleiben oder werden?

Trailer zum Film

Hippies und Kaserne

Und wie viel Kasernengeist steckt in dieser Groß-WG, die wie eine Mischung aus konspirativer Terroristenhöhle und Hippie-Kommune anmutet? Beim allmorgendlichen Fahnenappell zur Freiland-Hymne lugt er von Anbeginn hervor. Während der „Reproduktionsabende“ mit akribisch festgelegter Paarungsordnung – eine Reminiszenz an die Kommunen der 68er – scheint er sich langsam einzustellen. Aus dem Sex mit wechselnden Partnern, der in scheinbarer Freizügigkeit die Bevölkerungszahl der jungen Republik ankurbeln soll, wird ein Instrument der Disziplinierung.

„Freiland“ geht der zunehmenden Lust der Deutschen an Formen direkter Demokratie nach – und damit auch der Frage, warum sich so viele Menschen von den althergebrachten Bedingungen der repräsentativen Demokratie abwenden. Deboos, der seinen Lehrerjob verliert, nachdem er seine Klasse zur einer antikapitalistischen Großdemo geschleppt hat und dabei übel zugerichtet wurde, bietet hierbei, immerhin handelt es sich um einen Staatsbediensteten, ein besonders drastisches Beispiel. Man fragt sich: Welche Alternativen mögen jene Menschen verfolgen, die qua Herkunft und Beruf viel weniger eng mit der bürokratischen Ordnung verbandelt sind?

Einige von ihnen finden schließlich den Weg in jenes Schloss, in dem Deboos und Darré fortan wie ein König (Ersterer) und Sekretär (Zweiterer) schalten und walten. Im Gepäck haben sie vor allem ganz unterschiedliche Beweggründe: Da ist eine junge Schwangere, die eine Familie sucht. Oder der Kriminelle, der untertauchen muss. Nicht zu vergessen eine recht reife Hippie-Frau, die sich darüber freut, dass die abgewetzten Flure und Zimmer „voller Liebe“ seien.

Dem Untergang geweiht

Dass Deboos' wichtigster Gegenspieler, so scheint es zunächst jedenfalls, ebenfalls aus den Reihen der Staatsmacht stammt, verwundert kaum. Es ist der Bürgermeister jener Gemeinde. Ihm ist das Treiben dieser, wie er sie nennt, Spinner, nicht nur ein Dorn im Auge, sondern auch ein Rätsel. Doch den nicht eben gewaltfreien Untergang des Projekts „Freiland“ besorgen die Zugereisten schon selbst.

Mit einem Maximum an Realismus, der sich vor allem in der Bildsprache äußert,  ist Regisseur und Drehbuchautor Moritz Laube eine satirisch angehauchte Erzählung gelungen, die mit den Klischees von ausgeflippten Aussteigern und deren Gegenseite spielt, ohne jene Menschen auszustellen oder lächerlich zu machen. Und doch lebt gerade die erste Hälfte von einer subtilen Komik: Wenn zum Beispiel die Kamera Darré in seinen Wohnwagen folgt, um sein ganz privates Reich scheinbarer Autarkie zu zeigen. Ebenso skurril geraten die einzigen Schritte der Staatswerdung: Von der Bildung einer Regierung unter den Freiländern bis hin zur Flaggenhissung im Schlossgarten in bester Iwo-Jima-Ikonografie und dem Aufbau eines Radiosenders.

Es ist auch der Reiz der Gegensätze, der den Zuschauer bei der Stange hält: Zum Einen legen die rückblickenden Kommentare der Handelnden von Anfang an nahe, wie die Sache angesichts der so unterschiedlichen Temperamente endet oder enden muss. Und doch scheint die Situation in den einzelnen Szenen völlig offen, in der Schwebe, zu sein. Das liegt auch darin, dass Laube auf ein Drehbuch weitgehend verzichtet hat und der Improvisationskunst so großartiger Darsteller wie Aljoscha Stadelmann (als zunehmend despotischer Deboos, Matthias Bundschuh (als grüblerisch-verkniffener Darré) und Stephan Grossmann (als herrisch-intriganter Bürgermeister) freien Raum lässt. So bietet „Freiland“ letztendlich das, was die selbsternannte Republik für viele Außenstehende ohnehin bedeutet: großes Theater.

Info:
Freiland (Deutschland 2013), ein Film von Moritz Laube, mit Aljoscha Stadelmann, Matthias Bundschuh, Stephan Grossmann, Henrike von Kuick u.a., 93 Minuten.

Ab sofort im Kino


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