Lieber arm und selbstständig oder wohlhabend und abhängig? Der Dokumentarfilm „Off the Beaten Track“ erzählt vom Kampf um Traditionen und Identitäten in Zeiten, wo alles dagegen zu sprechen scheint.
Vom Schafhirten zum Milliardär: Einem der populärsten Politiker Rumäniens ist diese Karriere gelungen: Gigi Becali – Immobilienspekulant, Fußballclubbesitzer und Chef der rechtskonservativen Partei Neue Generation – zählt zu den schillerndsten Figuren des Landes. Doch auch weitab des Politikbetriebs ist spätestens seit dem EU-Beitritt vor sechs Jahren einiges in Bewegung geraten. Genauer gesagt: dort, wo die Menschen mit den Konsequenzen der Politik in Bukarest und Brüssel leben müssen.
Zum Beispiel weitab im Norden, in Transsilvanien. Auch dort, wo die landwirtschaftliche Selbstversorgung bis heute überlebt hat, träumen viele Menschen mittlerweile von Autos und einem dicken Bankkonto. Andere wiederum versuchen, an ihren bäuerlichen Traditionen festzuhalten und sich von Konsum-Verlockungen fernzuhalten.
Von derlei Umbrüchen und Widersprüchen, die sich auch auf andere Transformationsräume übertragen lassen, erzählt der rumäniendeutsche Filmemacher Dieter Auner. Im Mittelpunkt steht ein Dorf, dessen Bewohner voller Stolz davon prahlen, mit 5000 Schafen die Nummer eins der verarmten Umgebung zu sein. Zugleich wissen sie nicht, ob sie im nächsten Jahr überhaupt noch Schafe werden halten können. Weil im Ausland seit Jahren Krise herrscht, will dort kaum noch jemand ihre Lämmer kaufen. Vor ihrer Haustür werden sie selbst ihren Schafskäse kaum noch los. Obendrein will Bukarest die Beihilfen kürzen. Kein Wunder, wenn gerade viele Frauen ins Ausland gehen. Mag der Alltag als Saisonarbeiterin in der Landwirtschaft auch entwürdigend sein, so verdienen sie dort in einem Monat mehr als die Schafhirten ihrer Heimat in einem Jahr.
Tradition und Logik
All das verdichtet sich im Alltag der Familie Creta. Während die Mutter in Deutschland Zucchini pflückt, kümmert sich der Rest der Familie um den Schäferhof. Auner hat sie ein Jahr lang begleitet. Minutiös folgt die Kamera den gewohnten Rhythmen und Handlungen, die für den 43-Jährigen auch eine Frage von Identität und Zugehörigkeit sind. Gerade in diesen Momentaufnahmen eines Lebens, das auf den ersten Blick aus der Zeit gefallen scheint, tatsächlich aber voll im Jetzt verankert ist, schwingt immer die Frage mit, was verloren gehen könnte, wenn alle Dorfbewohner der nackten ökonomischen Logik folgen würden oder sie dazu gezwungen wären. Und zwar nicht nur dann, wenn es bei Dorfversammlungen oder im Familiengespräch um genau dieses Thema geht.
Ohne jede Folklore oder Verkitschung zeigt Auner ein Leben mit den Tieren im Wechsel der Jahreszeiten, dem die Menschen überwiegend mit einem lakonischen Humor, manchmal auch mit deutlichem Frust begegnen. Durch diese nüchterne Haltung können die Panoramabilder des sanften Hügelmeers der Karpaten, die die wolligen Vierbeiner mit ihren Begleitern überwinden, überhaupt erst zum Genuss werden. Diese unaufdringliche Authentizität prägt auch die Ausschnitte aus dem Leben im Dorf. Auner gelingt es, auch die profansten Situationen und Handlungen in seinen gelassenen, aber mitreißenden Erzählfluss einzubinden. Sei es ein generationsübergreifender Grillabend zwischen gackernden Hühnern oder Familie Cretas Mühen, das nagelneue Auto zwischen gefrorenen Heuschobern in Gang zu kriegen. Mögen die beiden Söhne mit ihren groben Mützen, Westen und Stiefeln auch wie Klone ihrer Großeltern anmuten. Allein die Inbrunst, mit der sie an ihren Handys herumfingern und sich für Autos begeistern, lässt vermuten, dass es sie nach einem anderen Leben gelüstet. Auch wenn sie sich noch so stoisch Tag für Tag zu den Sklaven ihrer Blöker machen, wie sie selbst sagen.
Dramatisch und komisch
Dass „Off The Beaten Track“ so kurzweilig und fesselnd ist, liegt nicht nur an der atmosphärischen Dichte seiner Bildsprache, sondern auch an der Unbefangenheit seiner Protagonisten. Erst durch die vorgeblichen Momente jener Privatheit, wenn sich die psychologischen Dynamiken in Kleinstgruppen nach außen kehren, lässt sich die Dramatik, die hinter den erwähnten Widersprüchen steckt, wirklich greifen. Daraus zieht dieser Film zugleich auch seine Komik.
Was der Verlust des inneren und äußeren Kompasses nicht nur, aber auch für die Menschen aus dieser vergessenen Provinz bedeutet, hat Auner zuvor bereits durchlebt und aufgearbeitet. 1990 kam er aus Rumänien in die Bundesrepublik. Gut zehn Jahre später drehte er einen Dokumentarfilm über den Massenexodus seiner einstigen Community, den Siebenbürger Sachsen. All das wird ihm für seinen neuesten Film manche Türen und Herzen geöffnet haben. Doch statt Betroffenheit dominiert darin ein Realismus, der, trotz aller Widrigkeiten, den Glauben an die Kraft jener Menschen in den Vordergrund rückt, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen. Solange sie es noch können.
Info: „Off The Beaten Track – Abseits aller Pfade (Irland/Rumänien 2011), ein Film von Dieter Auner, Kamera: Nora Agapi und Alexandru Brendea, 87 Minuten, OmU
Ab sofort im Kino