Kultur

Frauenrechte: Wie die AsF-Pankow an vergessene Heldinnen erinnert

Die AsF-Pankow hat eine zeitgeschichtliche Broschüre herausgebracht. Der Inhalt: Das Leben von 14 Sozialdemokratinnen, die in den vergangenen 150 Jahren für Frauenrechte gekämpft und in Pankow gewirkt haben. Ein Interview mit den beiden Redakteuren Markus Roick und Kathrin Kammermeier:
von Katharina Korn · 26. November 2018

Weil Geschichte immer noch viel zu oft von Männern für Männer geschrieben wird, geraten die bedeutenden Akteurinnen der Vergangenheit häufig in Vergessenheit. Das haben auch die beiden Redakteure Kathrin Kammermeier und Markus Roick bei ihren Recherchen für die Broschüre gemerkt. Dem vorwärts haben sie erzählt, wie sie nach den Heldinnen gesucht haben, was sie herausfinden konnten und warum wir ein neues kollektives Gedächtnis brauchen.

In den Geschichtsbüchern werden die langen Kämpfe der Frauen noch häufig totgeschwiegen. Zu vielen, die sie porträtiert haben, gibt es zudem keinen Wikipedia-Artikel. Das trifft auch auf Elise Panzeram zu, der Sie Ihre Broschüre „Für Elise“ gewidmet haben. Wo sind Sie auf ihren Namen gestoßen und wie ging es dann weiter?

Roick: Über den Namen Elise Panzeram bin ich in einem Buch gestolpert, in dem der schöne Satz stand: „Wer kann etwas anfangen mit den Namen Martha Rohrlack, Ottilie Baader, Emmy Stock oder Elise Panzeram?“. Ich habe dann alle Namen nachrecherchiert und bei Elise stieß ich darauf, dass sie in der Pappelallee wohnte – keine zweihundert Meter von mir entfernt, an einem Ort, an dem ich schon dutzende Male vorbeigegangen bin.

„E.P. war Mitglied im Berliner Frauenbildungsverein von 1899 und seit 1905 eine der Vertrauenspersonen Berlins“, lautet eine kurze biographische Notiz in Niggemanns Buch Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus zu ihr. Auch sonst tritt sie hinter bekanntere Genossinnen zurück. Deswegen suchten wir im historischen vorwärts nach weiteren Erwähnungen zu ihr – und wurden dort auch fündig.

Was hat der vorwärts über Elise geschrieben?

Kammermeier: Geboren wurde sie am 9. September 1866 und war – wie der vorwärts anlässlich ihres 65. Geburtstags schreibt – bereits in der Zeit des Sozialistengesetzes in der SPD und der Gewerkschaft aktiv. Auf dem großen KonfektionsarbeiterInnenstreik von 1896 kam es dann zu ihrem ersten bekannten politischen Auftritt. Dort demonstrierten vor allem Frauen gegen das Elend der Heimarbeit. Gerade in der Textilbranche – im Prenzlauer Berg damals eine der größten Wirtschaftszweige – waren die Arbeitsbedingungen unvorstellbar: Noch schlimmer als in der Fabrik und mit fünf bis 15 Pfennig pro Stunde auch noch deutlich schlechter bezahlt. Die Kolleginnen in der Fabrik verdienten 25 bis 30 Pfennig. Es war die erste große Massendemonstration, an der sich Frauen beteiligten. Welche Rolle Elise in diesem Streik spielte, kann nicht mehr festgestellt werden. Sie war aber wichtig genug, um „gemaßregelt“ zu werden.

Außerdem arbeitete sie lange Zeit in Berlin als Vertrauensperson für die SPD und war 1902 beim Reichsparteitag der SPD in München Delegierte – und das in einer Zeit, in der Frauen in Preußen noch nicht einmal Mitglied der Partei sein durften.

Und was hatte sie mit Pankow zu tun?

Roick: Elise Panzeram hat für Berlin gewirkt, hat in Pankow aber sicherlich auch eine große Rolle gespielt. Wer in Prenzlauer Berg die sozialdemokratische Frauenzeitschrift Die Gleichheit beziehen wollte, musste zu Elise gehen. Wenn der Arbeitgeber einen ungerecht behandelte oder seine Machtposition auch durch sexuelle Übergriffe ausnutzte, war sie eine der Ansprechpartnerinnen, die die Rechte der Frauen wahrten. Elise war eine der vielen Parteisoldatinnen, die den Laden am Laufen hielten und Frauen in die Partei holten.

Warum ist es so wichtig, Frauengeschichte aufzuarbeiten? Brauchen wir ein neues kollektives Gedächtnis, das auch sie miteinbezieht?

Kammermeier: Frauengeschichte ist seltener Herrschaftsgeschichte, weil Frauen selten Herrschaft ausübten. Aber sie ist Geschichte von unten. Jede der Frauen in der Broschüre hatte ihren persönlichen Anteil an einer sozialen Bewegung. Viele waren Näherinnen und Heimarbeiterinnen. Wer wissen will, wie die Menschen im Kaiserreich lebten – nicht die Könige und Prinzessinnen, sondern die ganz große Masse der Menschen – der muss die Geschichte der Frauen studieren. Hunger spielte fast immer eine Rolle, Armut ebenso.

Ella Kay, die erste Bezirksbürgermeisterin in Berlin, erinnerte sich noch im hohen Alter daran, dass ihre Mutter ihr keinen „Mohrenkopf“ für fünf Pfennige kaufen konnte. Fast alle Frauen erlebten, dass sie kein Recht auf Bildung oder Ausbildung hatten, weil sie früh Geld verdienen mussten. Ella Kay erwähnte, dass sie bitterlich weinte, als sie von der Schule abgehen musste, um in einer Wäscherei arbeiten zu können. Unter diesen Bedingungen war das erste Mal öffentlich zu reden – der Schritt in die männliche Öffentlichkeit – ein wichtiges Erlebnis für die Frauen. Fast alle haben in ihren Erinnerungen über dieses Ereignis gesprochen.

Welches Zeichen möchte die AsF-Pankow mit ihrer Broschüre für die Gegenwart setzen?

Roick: Erstens, möchten wir damit Vorbilder für Frauen setzen. Jeder der Frauen war eine Heldin. Frauen mussten schon immer mehr Hürden überwinden als Männer ihrer Zeit – und haben das geschafft.

Kammermeier: Zweitens, sind die Themen heute noch aktuell. 100 Jahre Frauenwahlrecht ist ein Riesenerfolg, aber noch immer braucht es Heldinnen und Helden für eine gerechte Welt. Deswegen haben wir die 14 Sozialdemokratinnen immer mit einem aktuellen Thema verbunden: Elise Panzeram mit #metoo. Bei Gertrud Hanna ist das die massive Teilzeitlücke – eher eine massive Teilzeitschlucht. Der Gender Pay Gap, den Emma Ihrer schon bekämpfte, hat sich frustrierenderweise nur in kleinen Schritten verändert. Und die Zustände, gegen die Agnes Wabnitz gekämpft hat – die Ausbeutung der Näherinnen – sind zwar in Deutschland kaum noch anzutreffen, aber für jedes Kleidungsstück aus Bangladesch müssen Menschen heute genauso wie damals leiden.

Mehr dazu: www.pankowheldinnen.de

Autor*in
Katharina Korn

studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.

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