Kultur

Frank Schirrmacher ist tot

von Birgit Güll · 13. Juni 2014

Er war ein Einmischer. Er hat Debatten angestoßen und ausgehalten. Im Alter von 54 Jahren ist der Publizist Frank Schirrmacher am 12. Juni gestorben. Ein Konservativer, dem SPD-Chef Sigmar Gabriel attestiert, er habe das politische Feuilleton in Deutschland neu erfunden.

Frank Schirrmacher ist 35 Jahre alt, als er Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) wird, zuständig für das Feuilleton. Das hat er zu einem Ort der aktuellen Debatte gemacht. Nicht selten ergriff er sprachmächtig selbst das Wort, wollte über die Entwicklung der Gesellschaft sprechen, Diskussionen anstoßen. Heute ist Schirrmachers Name in der gesamten Republik bekannt. Nicht weil er immer recht hatte, sondern weil er streitbar war, öffentlich wirken wollte und Freude am Dialog hatte.

Genforschung, Demografischer Wandel, Digitale Gesellschaft

Der in Wiesbaden geborene Schirrmacher machte die Genforschung ebenso zu einem Feuilletonthema wie die digitale Umwälzung. „Wie kaum ein anderer prägte er die Debatten in Deutschland und Europa in den vergangenen Jahren, zuletzt zu den Risiken und Gefahren von Big Data für unsere persönliche Freiheit und unsere Demokratie“, schreibt Martin Schulz, der Beauftragter des SPD-Parteivorstandes für die Europäische Union.

In seinen viel verkauften Büchern führte der FAZ-Mitherausgeber seine Thesen aus. Er beschäftigte sich mit dem demografischen Wandel („Das Methusalem-Komplott“) und warb für die Renaissance der Familie („Minimum“). – Konservative Gesellschaftskritik, die ihm viel Gegenwind brachte. In den letzten Jahren wandte er sich verstärkt der digitalen Umwälzung zu, im FAZ-Feuilleton genau wie in seinem Buch „Payback“. „Er war einer der Ersten, der die Digitale Revolution in ihrer ganzen Dimension erfasst hat“, betont Sigmar Gabriel.

Nichts zu tun haben wollte Schirrmacher mit Geschichtsrevisionismus und Ressentiments. 1998 hielt er die Laudatio auf Martin Walser, als diesem der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde. Vier Jahre später weigerte er sich, Walsers Roman „Tod eines Kritikers“ in der FAZ zu veröffentlichen. Er las in Walsers Buch – trotz anderem Namen – die Abrechnung mit dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki und erklärte das „Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar“. Es gehe in dem Buch auch nicht um die Ermordung eines Kritikers, erklärte Schirrmacher. „Es geht um den Mord an einem Juden.“ Dem wollte er kein Forum bieten.

„Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“

Dass er streitbar war, hat Schirrmacher mehr als einmal bewiesen. Dass er sich nicht ein Mal festlegte und nie seine Meinung änderte, auch. Aufsehen erregte er einmal mehr, als er 2011 in der FAZ den Text „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ veröffentlichte. Der Konservative Schirrmacher zitierte seinen konservativen britischen Kollegen Charles Moore und stützt dessen kapitalismuskritische These.

Schirrmacher kritisiert inmitten der Finanzmarktkrise die bürgerliche Politik. „Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, dass die gegenwärtige ‚bürgerliche’ Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, dass die Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind“, schrieb Schirrmacher. Auch in seinem im letzten Jahr erschienen Buch „Ego“ kritisierte er den entfesselten Kapitalismus.

Am 12. Juni ist Frank Schirrmacher im Alter von 54 Jahren gestorben. „Frank Schirrmachers freiheitliche Sicht auf die Welt hat mir ungeheuer imponiert“, erklärt Sigmar Gabriel und ergänzt: „Das Land hat einen großen Intellektuellen, publizistischen Visionär und klugen Deuter unserer Zeit verloren. Und ich einen Freund.“

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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