Kultur

„Foxtrot“: Wie der unsichtbare Krieg den Alltag in Israel bestimmt

Eine Familientragödie als Spiegelbild einer traumatisierten Gesellschaft: Das israelische Drama „Foxtrot“ sorgte für heftige Kontroversen. Jetzt erscheint der ebenso eindringliche wie eigenwillige Film auf DVD.
von ohne Autor · 4. Januar 2019

Die Tragödie von Michael und Dafna Feldman kündigt sich mit einem kurzen Klingelzeichen an. Als hätte das Paar die ganze Zeit darauf gewartet. Zwei Soldaten der israelischen Armee überbringen die Nachricht, dass ihr Sohn Jonathan beim Einsatz im Militärdienst ums Leben gefallen ist. Dafna bricht zusammen. Michael muss erst lernen, den Schmerz zuzulassen. Wie in Trance lässt er einen Reigen bedächtig vorgetragener Fragen und Empfehlungen der Besucher über sich ergehen. Schließlich gilt es, eine Art Heldenbegräbnis vorzubereiten. Natürlich unter der Regie des Militärs.

Eine Kette von Traumata

Was die Eltern in diesem Moment durchmachen, ist Alltag in Israel. Doch wie geht eine Gesellschaft mit der Allgegenwart des gewaltsamen Todes, die einer verfahrenen politischen Situation im Nahen Osten geschuldet ist, um? Wie stark prägt die Kette von Traumata, die sich von der maßgeblich durch Holocaustüberlebende, die zu Kämpfern wurden, geprägte Gründergeneration bis zu den Kriegsveteranen von heute zieht, den Umgang miteinander?

Mit seinem mit zahlreichen internationalen Preisen, unter anderem bei den Filmfestspielen von Venedig, ausgezeichneten Werk, das vergangenen Sommer im Kino lief, kehrt Regisseur Samuel Maoz („Lebanon“) das psychologische Fundament des jüdischen Staates nach außen. Er rührt an Tabus in einem Land, wo die Streitkräfte nicht nur mittels der sogenannten Militärzensur maßgeblich auf die öffentliche Meinung einwirken. Der mitunter respektlose Blick auf junge Rekruten und pedantische Militärrabbis sorgte für heftige Kontroversen und Proteste aus dem ganz rechten politischen Lager.

Schuld auf sich geladen

Nach dem Vorbild einer griechischen Tragödie ist „Foxtrot“ in drei Akte unterteilt. Zu Beginn steht die besagte Nachricht, die Familie Feldman aus der Bahn wirft. Dabei wird zunehmend deutlich, wie Michaels Vergangenheit ihm dabei im Weg steht, um Jonathan zu trauern. Ihm, dem Nachfahren von KZ-Insassen, die kaum über früher sprachen und nie viel von den Nöten des Sohnes hören wollten. Ihm, dem ehemaligen Soldaten, der seinerzeit eine schreckliche Schuld auf sich geladen hat. Damit nicht genug: Nach dem ersten Schock müssen Michael und Dafna einen weiteren verkraften.

Akt zwei widmet sich Jonathans Wehrdienst an einem Checkpoint am Ende der Welt. Dort sehen wir junge Männer, die sich mit Metalcore und Ballerspielen den Tag vertreiben und darauf warten, dass ihr klappriger Wohncontainer im Schlamm versinkt. Manch einer greift sich sein Gewehr und tanzt einen Foxtrott. Jenen Tanz, der nach ein paar Schritten wieder zurück an den Anfangspunkt führt. Eine stimmige Metapher für den absurden Soldatenalltag in einem „unsichtbaren Krieg“ (Maoz) und den politischen Stillstand. Gibt es ab und zu mal ein palästinensisches Auto zu kontrollieren, entlädt sich die vom Nichtstun angestaute Spannung. Ehedem noch nerdig unterwegs, kosten die jungen Männer ihre Allmacht aus. Mitunter mit grauenhaften Folgen. Im dritten Akt werden wir Zeuge dessen, wie Vater, Mutter und Tochter wieder mühevoll zueinander finden, mag fortan auch der Verlust alles andere überlagern. Doch dafür muss Michael sein Schweigen brechen.

Ausdrucksstarke Bilder

„Foxtrot“ zeichnet sich durch ebenso lange wie eindringliche Einstellungen aus. Erst so ist zu erleben, wie der eben noch wie eingefrorene Vater auf einen totalen Ausbruch zusteuert. Wenn die Kamera aus der Vogelperspektive die Szenerie einfängt, zeigt sich umso deutlicher die Ausweglosigkeit der Auftretenden. Was es zu sagen gäbe, löst Maoz meist in Bildern auf. Die Kamerafahrten durch den endlosen Flur der Architektenwohnung sprechen Bände über Michaels Zustand.

Beim Handlungsaufbau spielt der 1962 geborene Filmemacher geschickt mit den Erwartungen der Zuschauer. Mithilfe eines wiederholten Abdriftens der an Realismus zumindest angelehnten Bildsprache ins Experimentelle unterstreicht er die psychologischen Untiefen von Figuren wie Situationen und schafft gerade dadurch ein Bewusstsein dafür, welchen Ballast Israels von Krieg und Terror geprägte Gesellschaft mit sich herumschleppt. Das Ganze mit einem sowohl subtilen als auch schrägen Humor zu garnieren, ist dabei der entscheidende Kunstgriff. Mehr dazu erklärt der Filmemacher in einem Interview im Bonusmaterial.

„Foxtrot“ (Israel/ Deutschland/ Frankreich/ Schweiz, 2018), ein Film von Samuel Maoz, mit Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonatan Shiray u.a., Sprachen: Hebräisch/Arabisch/Deutsch, 113 Minuten
Ab 15. Januar auf DVD/Blu-ray und als Video on Demand

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