Kultur

„Fotos sind Ergebnisse von Begegnungen“

von Birgit Güll · 13. Februar 2012

Für die Porträtserie „Stand der Dinge“ hat Jim Rakete Filmschaffende fotografiert. Am 13. Februar wird die Schau im Berliner Willy-Brandt-Haus eröffnet. Im Interview spricht er über Fotografien die Schlüsselmomente festhalten, über den Reiz von Farbfotos und darüber, wie die Digitalfotografie unsere Erzählkultur verändert.

vorwaerts.de: Sie gelten als Meister der analogen schwarz-weiß Fotografie. Ihre letzte große Porträt-Serie „1/8 sec.“ haben Sie mit einer Plattenkamera fotografiert. Für „Stand der Dinge“ haben Sie Filmschaffende farbig und digital fotografiert. Was hat Sie daran gereizt? 

Jim Rakete: Ich muss unentwegt farbig fotografieren um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die persönlichen Vorlieben haben nichts damit zu tun, dass man auch von irgendetwas leben muss. Aber bei „Stand der Dinge“ spielen Farben zum Teil eine Rolle. Wenn Floriane Daniel den roten BH durch die Bluse blitzen lässt, den sie im Film „Winterschläfer“ getragen hat, dann nützt mir das nichts in schwarz-weiß. Deshalb war klar, dass ich bei dem Thema auf Farbe gehen muss.  

Sie hätten auch analoge Farbfotografien machen können.   

Ja, aber da ist noch der Kostenfaktor. Wir haben das Projekt begonnen, um Geld von Stiftern für das Frankfurter Filmmuseum zu bekommen. Die ganze Ausstellung ist eine Stiftung an das Frankfurter Filmmuseum.  

Die analoge Fotografie verliert immer mehr an Bedeutung. Markiert die Insolvenz des Foto-Konzerns Kodak den endgültigen Durchbruch der Digitalfotografie?  

Das hat schon viel früher begonnen. Der eigentliche Unterschied ist der Unterschied im Denken. Die analoge Fotografie bezieht sich immer auf ein Original, auf das Negativ. Das Fehlen dieses Originals ist ein Phantomschmerz der Fotografie. Das digitale Denken ist jenes der Ungeduld – des sofortigen Zeigens, der sofortigen Versendbarkeit. Das füttert unsere Schwäche: Wir können auf nichts mehr warten, wir können uns auf nichts mehr einlassen. Fotografie heißt heute einer macht mit dem Handy ein Bild und schickt es woanders hin. Das führt zu einer Entwertung des einzelnen Bildes. Es führt weg davon sich etwas aus einem Foto herauszulesen. Dieser Siegeszug der Bilderflut ist durch nichts mehr einzudämmen. Ein weiterer Nachteil ist dieses „Wie wollen Sie’s gerne haben?“. Alles ist verlegt auf das Hinterher. Vollkommen egal was man fotografiert hat, hinterher kann man daraus irgendwas machen. Für mich war die wirkliche Trophäe von Fotografie immer, dass das Foto auch ein Ergebnis einer Begegnung ist. Wenn ich heute Sachen sehe, die eindrucksvoll bearbeitet sind, kann ich sagen, das ist gut gemacht. Aber das Bild hat diese Kraft von Begegnung nicht mehr. Es hat keine Zeitzeugenschaft.  

Sie haben darüber geschrieben, dass die Kodak-Insolvenz unsere Erzählkultur verändert. Es ist interessant darüber nachzudenken.  

Unbedingt. Was geht da verloren? Was ist ein Bild? Es geht heute mehr und mehr um den Erregungszustand. Der Kick, nicht der Prozess steht im Vordergrund. Damit meine ich dieses „Kuck mal, hier“. Es geht um Aufmerksamkeit, ums Setzen von Signalen. Ob so ein Signal Bestand hat, ob es zu einem Leuchtturm wird, ob es der Zahn der Zeit zernagt – das kann ich heute nicht sagen. In der Fotografie bildet sich auch etwas ab, das man gar nicht für möglich halten würde. Hinterher, wenn ganz viel zusammengetragen ist und man plötzlich staunend erkennt, dass ein Robert Lebeck oder ein August Sander große Künstler sind. Das sieht man leider immer erst im Rückspiegel. In dem Moment, in dem jemand eine großartige Reportage macht oder großartig sinnliche Bilder fotografiert, weiß man es noch nicht. Man weiß es immer erst ein paar Jahre später, wenn man die Zusammenhänge sieht.  

Sie haben einmal gesagt, dass es Sie erstaunt, welche Bedeutung Bilder nach einigen Jahren entwickeln.  

Wenn sie standgehalten haben. Man guckt auf Tausende, auf Zehntausende Filme die man fotografiert hat in seinem Leben und dann vergeht Zeit. Dann zieht zum Beispiel Manfred Krug eine Bilanz seines Lebens und bringt einen Bildband raus. Und dann guckt man staunend auf den Moment, in dem man ihn vor 30 oder 34 Jahren fotografiert hat. Plötzlich erkennt man: Das war ein Schlüsselmoment. Damals wusste man das nicht.  

Fotografien prägen unsere Erinnerung. Erinnern wir uns anders an Ereignisse, gerade an politische, die nicht auf Fotos festgehalten wurden?  

Ich muss jetzt mal Gerhard Richter zitieren. Der ist einfach großartig. Er sagte: Mit einem Bild kann man etwas erreichen, man kann in Sekundenschnelle eine Geschichte erzählen. Man kann aber auch ein Buch lesen. Das braucht ein paar Stunden länger, aber das Ergebnis ist dasselbe.  

Ist das so? Zum Beispiel der Kniefall Willy Brandts in Warschau, man kennt dieses Bild. Bekommt man den gleichen Eindruck von dem Moment wenn man ein Buch darüber liest?  

Mein Problem ist, ich weiß zuviel darüber. Auch Kniefälle haben ihre Vorgeschichte. Damit meine ich die Überlegung der Geste. Die Geste ist eines der interessantesten Themen überhaupt. Eine nicht gemeinte Geste ist schlimmer als gar keine. Wenn jemand es schafft im richtigen Maß eine Geste zu machen, dann ist das groß. Wenn jemand das nicht schafft, ist es manchmal ganz kläglich. Wir sehen das ja gegenwärtig in der Politik. Es werden ganz viele Gesten gemacht, die nicht von Herzen kommen und die dann ganz furchtbar sind.  

Ist es fatal, wenn jemand in diesem Moment ein Foto macht? So wie es großartig ist, eine gelungene Geste festzuhalten?  

Die Kamera fasst es nur zusammen. Die Kamera ist eine Erzählform wie jede andere auch. Aber wenn man die Absicht hinter einer Geste erkennt, wenn man merkt, dass die unlauter ist, dann ist man verstimmt. Also: Angela Merkel geht mit Wolf Biermann und Joachim Gauck zum 20. Jahrestag der Maueröffnung über die Bösebrücke. Das war keine gute Idee.  

Kommen wir zurück auf die Ausstellung „Stand der Dinge“. Sie haben gesagt, dass es wahnsinnig schwer sei Schauspieler zu fotografieren, weil sie daran gewöhnt seien eine Rolle zu spielen.  

Wenn die keine Rolle haben. Wenn man die nicht mit etwas beauftragen kann, dann ist es ganz schwer. Schauspieler lieben es, sich hinter der Rolle aufzuhalten.  

Sie kannten viele Leute als sie noch nicht so bekannt waren, wie sie heute sind. Sie haben einmal gesagt, „dieser Augenblick, wenn jemand an den Start geht, ist ein ganz besonderer. Der ist unwiederbringlich.“  

Wie überhaupt erste Begegnungen ganz toll sind.  

Die Filmschaffenden, die Sie für „Stand der Dinge“ fotografiert haben, die haben dieses Anfangs-Moment längst hinter sich. Was hat sie gereizt sie zu fotografieren?  

Das Gegenteil davon: die Bilanz.  

Aber es ist nicht bei allen eine Bilanz. Es sind sehr junge Leute dabei.  

Es ist trotzdem eine Bilanz. Sie sind alle herausragend weil sie irgendwas gemacht haben, das uns aufgefallen ist. Jetzt haben sie die Gelegenheit sich anhand einer einzigen Requisite oder eines Gegenstands zu erinnern an den einen Moment, der ihrer Meinung nach entscheidend für ihre Karriere war. Das ist ein großes Spielfeld.  

War es schwer für die Filmschaffenden den einen Gegenstand zu benennen?  

Ich wünschte ich könnte sagen, dass es einfach war. Manchmal waren es sehr lange Gespräche.   

Sie haben viele Politiker fotografiert. Ihr erstes Bild, da waren Sie 14 Jahre alt, war ein Foto von Willy Brandt. Sind Politiker oder Schauspieler schwieriger zu fotografieren?  

Beide haben ihren selbst gewählten Auftrag. Daraus ergibt sich ein Rollenbewusstsein und deshalb finde ich beides nicht sonderlich schwer. Die können sich alle schon ganz gut optisch ausdrücken. Das ist nicht mehr wie bei den Reihenhaus-Politikern in den 50ern.  

Es wäre also schwieriger Laien zu fotografieren?  

Für Laien bräuchte ich einen Grund. Bei Politikern und Schauspielern brauche ich keinen Grund, die haben immer einen.   

„Stand der Dinge“ wird ab dem 14. Februar im Berliner Willy-Brandt-Haus gezeigt. Ist das ein besonderer Ausstellungsort für Sie?  

Allerdings. Für mich ist das eine große Ehre. Die Macherin der Ausstellungen im Willy-Brandt-Haus, Gisela Kayser, schätze ich sehr. Sie hat in den letzten Jahren ein herausragendes Programm gemacht. Das ist ein Herzstück dieses Hauses. Das hat sich noch gar nicht genug herumgesprochen in der Stadt. Zudem liegt das Willy-Brandt-Haus in einer Gegend die ich toll finde. Keine 800 Meter von meinem Studio, vor allem aber auch nicht weit von der Berlinischen Galerie, vom Jüdischen Museum und nicht weit von der alten Schaubühne. Die Räume sind auch toll. So gute Räume hat man selten.  

Im Willy-Brandt-Haus sind sie nahe an der Politik. Was wäre Ihre Forderung, wie können Politiker die Rahmenbedingungen für Kulturschaffende verbessern?  

Eine Auffrischung der Künstlersozialkasse ist unbedingt erforderlich. Es muss wieder eine Durchlässigkeit geben. Es muss wieder eine Gewinner-Perspektive geben für Leute, die der kreativen Klasse angehören. Ohne dass man sich solche Dämlichkeiten wie das bedingungsloses Grundeinkommen für alle auf die Fahne schreibt. Das bringt es einfach nicht. Nebenbei bemerkt ist es auch gar nicht bezahlbar.

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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