Kultur

Fluchtpunkt Warteschleife

von ohne Autor · 27. Januar 2014

Wieder einmal beherrscht das Thema Asyl die Schlagzeilen. Die Menschen, um die es geht, werden meist in den Hintergrund gedrängt. Der Dokumentarfilm „Land in Sicht“ gibt ihnen ein Gesicht und überrascht mit reichlich Situationskomik.

Im vergangenen Jahr haben so viele Menschen Asyl in Deutschland beantragt wie seit 1999 nicht mehr: Das Bundesinnenministerium zählte 127.023 Menschen mit dem Fluchtziel Bundesrepublik, ein großer Teil kam aus Syrien, Russland, Somalia und Serbien. Doch wie leben eigentlich jene Menschen, um die wieder einmal populistische Debatten toben? Und was bedeutet es, sich nach einer lebensgefährlichen Odyssee im oft jahrelangen Behörden-Marathon wiederzufinden, den das deutsche Asylrecht vorsieht?

Wer versucht, sich all das vorzustellen, gewinnt gemeinhin ein ziemlich verschwommenes Bild. Eine lohnende Klärung und Annäherung liefert „Land in Sicht“: Es sind überraschende Einblicke in eine Welt, die den meisten verborgen bleibt. Die Regisseurinnen Antje Kruska und Judith Keil gelangten mit der Kamera dorthin, wo nur wenige hinkommen: Sie begleiteten drei Flüchtlinge im brandenburgischen Bad Belzig zwei Jahre lang in einem Alltag, der vor allem darum kreist, endlich anzukommen. Herausgekommen sind intime Ausschnitte aus Lebensgeschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. So vielschichtig wie das Tableau an Charakteren sind auch die atmosphärischen Schwingungen dieses Films: Hoffnungslosigkeit und Situationskomik liegen dicht beieinander. Auf der anderen Seite werden die Grenzen des Versuchs deutlich, Menschen in Grenzsituationen vor laufender Kamera ihr Dasein reflektieren zu lassen.

Trailer

Abdul Nasser ist so etwas wie der alte Hase unter den drei Männern. Im Jemen genoss er als Scheich und Hauptmann ein gewisses Ansehen. Wegen einer Schussverletzung schlug er sich nach Deutschland durch. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten sind seit seinem Asylantrag sechs Jahre vergangen. Man meint, Nasser hat sich eingerichtet. Was dem mittlerweile Geduldeten noch fehlt: eine Frau und ein Job. Beidem stehen seine spärlichen Sprachkenntnisse entgegen. Das zermürbende Warten darauf, endlich – auch im Sinne des sozialen Status – Halt zu finden, kaschiert er mit gebieterischem Habitus und eben solchem Charme.

Von Teheran ins Fitnesscenter

Bei Farid Sahimi ergibt sich ein komplett konträres Bild: Der bullige Ex-Student aus Teheran verkörpert die pure Zerbrechlichkeit: Nach der Protestwelle gegen das Regime musste er mit seinem Bruder Hals über Kopf den Iran verlassen und Frau und Sohn zurücklassen. Pragmatisch bemüht er sich darum, in der deutschen Provinz Kontakte zu knüpfen und heimisch zu werden. So macht er Fitnesscenter-Kundinnen mit persischem Kampfsport vertraut. Doch in Wahrheit lebt er mit dem Herzen noch in Teheran. Sein Traum: Dass er eines Tages mit seiner Familie in Deutschland neu anfängt Je länger das auf sich warten lässt, desto mehr nagt die Sehnsucht an ihm.

Brian Ngopan übernimmt den Part des Realisten, wenn nicht gar des Pessimisten. In Kamerun, wo selbst Jura-Absolventen wie er auf Plantagen ackern, hatten sie ihm gesagt: Geh nach Deutschland und du bist ein gemachter Mann. „Das genaue Gegenteil ist der Fall“, zeigt er sich nunmehr überzeugt. Auch im Wissen um seine geringen Chancen, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Weil er endlich eigenes Geld verdienen will, schließt er sich in Schlips und Kragen einer dubiosen Finanzberater-Kolonne an. Ngopans Beispiel zeigt, was es vor allem für junge Leute, die fest entschlossen sind, durchzustarten, bedeutet, jahrelang „geparkt“ zu werden, anstatt ihre Träume zu leben.

Lachen mit Nachgeschmack

Von all dem erzählen Keil und Kruska jenseits der Klischees vom „Clash der Kulturen“ oder von Asylheim-Tristesse am Stadtrand. Stattdessen stellen sie die Berührungspunkte in den Vordergrund, die die Männer dank ihrer Sozialarbeiterin mit den Menschen in einem überschaubaren öffentlichen Raum aufbauen. Letzterer trägt erheblich zur Verdichtung des Geschehens bei.

Gerade in der Interaktion mit der „Außenwelt“ offenbart das Trio Dinge, die sonst ungesagt blieben. Sei es nur ein Behördengang: Beim gedolmetschertem Gespräch mit der Arbeitsvermittlerin landet Achmed, dem eine Zukunft in der Sicherheitsbranche vorschwebt, immer wieder auf dem Boden der Tatsachen. Bei einer Singleparty meint man beobachten zu können, wie sein männliches Selbstverständnis heftig ins Trudeln gerät. Die Lacher ob mancher komischer Momente hinterlassen allerdings einen bitteren Nachgeschmack.

Die langen Einstellungen, die auf ihren Gesichtern ruhen, lassen erahnen, wie es in Farid, Brian und Abdul arbeitet und was diese Routine der Ungewissheit mit ihnen macht. Leider blieben wegen fehlender Drehgenehmigungen jene Institutionen außen vor, die über das Wohl und Wehe der Asylbewerber entscheiden: das Bundesamt für Migration und die Ausländerbehörde. Gleichwohl sind sie in den Gesprächen über Reisebeschränkungen und Arbeitsverbote als unsichtbare Dritte immer präsent.

Auch hätte man gerne erfahren, wie sich solche, häufig mit Traumata verbundenen Lebenswege aus weiblicher Sicht darstellen: Angeblich hatte sich in jener Unterkunft keine Frau bereit gefunden, sich filmen zu lassen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass dieser Film wichtige Leerstellen schließt.

Info:
Land in Sicht (Deutschland 2013), Buch und Regie: Antje Kruska und Judith Keil, mit Abdul Nasser Jarada, Brian Ngopan, Farid Sahimi, Rose Dittfurth u.a., 93 Minuten.
Ab sofort im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare