Kultur

Flüchtlinge integrieren, Bürgerrechte schützen

Wie begegnen wir Flüchtlingen? Was ist eine freie Gesellschaft und was macht die Vorratsdatenspeicherung mit ihr? Diese Themen wurde am Samstag am vorwärts-Stand diskutiert.
von Kai Doering · 16. Oktober 2015
Buchmesse
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Gehen, ging, gegangen“, heißt der neue Roman von Jenny Erpenbeck. Es geht um Flüchtlinge. Menschen, die die lebensgefährliche Flucht überlebt haben. Angekommen in Deutschland sind sie zum Warten verdammt – auf eine Unterkunft, auf die Bewilligung ihres Asylantrags, auf eine Arbeitserlaubnis. Über das Buch und die aktuelle politische Lage sprach Erpenbeck mit dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel.

Lange Zeit waren Flüchtlinge das Problem der Länder am Mittelmeer. „Jetzt ist das Thema in Kerneuropa angekommen“, sagte er. Und betonte: „Dublin ist tot.“. Das Abkommen verpflichtet eigentlich die Länder, in denen die Asylbewerber ankommen – in der Regel die Mittelmeer-Anrainerstaaten – dazu, die Menschen zu registrieren. Alle anderen Länder – in der Regel im Zentrum von Europa – konnten die Menschen dorthin zurück schicken.

Schäfer-Gümbel betonte: „Wenn Europa eine Wertegemeinschaft sein will, muss es in solchen Situationen zusammenhalten.“ Erpenbeck, die für ihr Buch auch mit Flüchtlingen gesprochen hat, hob hervor: „Kein Flüchtling will lange jemandem auf der Tasche liegen.“ Sie wollten lediglich ihre Existenz finanzieren. Und viele seien dann hier jahrelang zum Warten gezwungen und kämen nicht weiter.

Schwesig: „Bildung ist der Schlüssel zur Integration“

Auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sprach in Frankfurt über Flüchtlinge und Integration. Sie hält Bildung für den Schlüssel zu deren Integration – und betonte: „Für mich haben Frauen und Kinder Vorrang.“ In den 1960ern sei bei den Gastarbeitern der Fehler gemacht worden sich nur auf die Männer – also die Arbeitskräfte – zu konzentrieren. „Der Schlüssel zur Integration liegt für mich bei Kindern und Jugendlichen“, sagte Schwesig. Sie würden in Kitas und Schulen schnell Teil unserer Gesellschaft.

Bei der Bildung dürfe kein Unterschied gemacht werden zwischen Kindern von Flüchtlingen und Kindern die in Deutschland geboren wurden. Auch Frauen müssten in Sprach- und Integrationskurse, damit auch sie ankommen könnten. Schwesig wirbt für Gleichberechtigung von Mann und Frau. Sie betonte aber auch: „Wir dürfen nicht allen Flüchtlingen unterstellen, dass sie die Rechte von Männern und Frauen nicht achten.“

Trojanow: Vorratsdatenspeicherung ist „Unverschämtheit“

Eigentlich wollten Ilja Trojanow und SPD-Schatzmeister über Trojanows neuen Roman „Macht und Widerstand“ sprechen. Doch da der im Bulgarien der Sowjetzeit spielt und es um Überwachung durch einen überbordenden Sicherheitsapparat geht, fanden Trojanow und Nietan schnell ein anderes Thema: die Vorratsdatenspeicherung (VDS). Dass diese nur wenige Stunden zuvor im Bundestag beschlossen worden war, gab dem Ganzen eine besondere Note.

„Bei der Vorratsdatenspeicherung sieht man, wie die Politik sich treiben lässt von scheinbaren Notwendigkeiten“, ist Ilja Trojanow überzeugt. Es herrsche ein „nebulöser Druck“. Besonders stört den Autor am VDS-Gesetz der Paragraf, der die „Datenhehlerei“ regelt. Für Trojanow ist er schlicht eine „Unverschämtheit und ein direkter Angriff auf mich“: Als Journalist und Autor sei er auf Informanten angewiesen. Nach dem VDS-Gesetz drohe ihm nun eine Gefängnisstrafe.

Nietan: „Die Sensibilität der Politik wächst“

Dietmar Nietan kann den Ärger verstehen. „Die Sensibilität für das Thema wächst auch bei den politisch Verantwortlichen“, versuchte er zu beschwichtigen. Größere Sorge mache ihm allerdings, dass das „private Sammeln von Daten durch Unternehmen viel schneller akzeptiert wird“. Aus Nietans Sicht könnten zwei Dinge helfen: „Wir brauchen mehr Transparenz und eine andere Erziehung.“ Junge Menschen müssten zu kritischen Staatsbürgern gemacht werden.

Ilja Trojanow reicht das nicht. „Zurzeit kommen Gesetze zustande, die eindeutig dem Geist des Grundgesetzes widersprechen“, kritisierte er. Er wolle sich darauf verlassen können, dass das Grundgesetz im Bundestag gekannt und eingehalten werde. Das sieht auch Dietmar Nietan so. „Aus Wissen muss widerständiges Tun erwachsen“, sagte er. Sonst könne es passieren, dass die Bürger mithilfe von Daten manipuliert würden, die sie selbst irgendwann freiwillig preisgegeben hätten.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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