Manchmal ist das Leben einfach zum Davonfahren: In „Madame empfiehlt sich“ brilliert Catherine Deneuve als krisengebeutelte Restaurantbesitzerin. In den magischen Weiten des französischen Westens sucht sie nach neuen Perspektiven.
Sie geht nur eben mal Zigaretten holen: Bettie (Catherine Deneuve) lässt in ihrem bretonischen Fischrestaurant alles stehen und liegen, weil sie eine Pause mehr als nötig hat. Auf den ersten Blick von der Arbeit, doch tatsächlich von ihrem Alltag. So einiges wächst der früheren „Miss Bretagne“ über den Kopf: Das Leben mit der Mutter, die sich in alles einmischt, seitdem sie mit gut 60 Jahren wieder bei ihr eingezogen ist – was nicht zuletzt für ihr verkorkstes Liebesleben gilt. Letzteres wiederum hat ihr Liebhaber verhagelt, seitdem er sich lieber mit einer Jüngeren vergnügt. Und nicht zuletzt die monotone Schufterei im Lokal, das sich nur mühsam über Wasser hält.
Schneller als sie es sich jemals hätte träumen lassen, treibt es Bettie weit weg von ihrem bisherigen Leben. Schließlich kann Zigaretten holen in der in der Sonntagsruhe dahin dämmernden französischen Provinz ziemlich lange dauern, zumal in Zeiten eines strengen Rauchverbots im öffentlichen Raum. So gerät Bettie zunächst unbewusst in den langsam anziehenden Groove einer Reise, die sie quer durch Frankreich führt. Sie beschließt, ihrem alten Leben zu entwischen und womöglich in einem neuen anzukommen. Doch kann man all das, was man über Jahrzehnte mit sich herum geschleppt hat, einfach so abstreifen?
Wie so oft während der letzten Jahre, verkörpert Catherine Deneuve in „Madame empfiehlt sich“ eine Rolle, die wenig gemein hat mit jener Erscheinung als unnahbare Schönheit, wie sie ihr zwischen den 60er- und 80er-Jahren von diversen Regisseuren zugewiesen wurde. Gleichwohl kokettiert Emanuelle Bercots Regiearbeit mit genau diesem Image und weiteren Verweisen auf Deneuves „klassische“ Epoche. Unabhängig davon lebt die Figur der Bettie von einer eigenen Tonalität, die von Anfang an überzeugt und fasziniert. Mit anderen Worten: Man nimmt der Deneuve die frustrierte Restaurantchefin nicht nur ab, sondern lässt sich geradezu lustvoll auf sie ein.
Der Morgen danach
Das liegt auch daran, dass dieser Film ebenso leichtfüßig wie melancholisch mit dem Thema des Alterns umgeht. Zum Beispiel, als Bettie reichlich zerknittert und konfus in einem Hotelbett erwacht. Die Nacht hat sie mit einem Jüngling verbracht, den sie am Abend zuvor beim Zechen in einer Dorfdisco kennengelernt hatte. Der wiederum steckt ihr ungerührt, er habe sie sich beim Liebesspiel jünger vorgestellt. Bettie nimmt es mit Humor, schlüpft in ihre Leoparden-Bluse und fährt einfach weiter: Auch in diesem eher uneitlen Charakter steckt ein Rest von Unnahbarkeit.
In jungen Jahren gibt es reichlich Gelegenheiten, sich auszuprobieren oder neue Wege zu gehen, doch kurz vor dem Rentenalter sind diese Freiheiten oft ein Luxus. Auch davon erzählt dieses Road Movie. Obendrein zeigt es den französischen Westen in seinem satten Grün als einen Raum unendlicher Weiten mit nahezu amerikanischen Dimensionen, wo sich Perspektiven weiten und Sehnsüchte Bahn brechen – unverständlich, warum diese Gegend zwischen Bretagne und Gironde filmisch so unterbelichtet ist.
Die Aushilfs-Oma
Doch ehe sich Bettie in weitere Abenteuer stürzen kann, klingelt ihr Handy. Ihre Tochter bittet sie, deren Sohn zum weit entfernt lebenden Großvater zu bringen. Mutter und Tochter haben sich seit Jahren nicht gesehen, doch Bettie springt ebenso spontan ein, wie sie von daheim losgezogen ist. Doch auch jetzt reißen die Turbulenzen nicht ab. Schlussendlich stranden die beiden total abgebrannt in einem Seehotel, wo die Großmutter mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird: Dort wartet ein Trupp von Schönheitsköniginnen aus dem Jahre 1969. Am Ende erfährt Bettie, dass es weder für den familiären Frieden noch für eine neue Liebe zu spät ist. Selbst wenn damit der Traum von neuen, besser gesagt: ichbezogenen, Ufern damit zerplatzt ist.
Ohne Zweifel liegt der Reiz dieses Films vor allem in jenen Szenen, wo sich der Zuschauer mit Bettie der Anziehungskraft eines Daseins ohne jede Vorhersehbarkeit hingibt. Mit ihr kauen wir Getreidegarben am Straßenrand und sind Zeuge, wenn sie die Welt neu für sich entdeckt – und sei es bei einer genüsslichen Zigarettenpause in Regenmantel und Gummistiefeln am Auto.
Weitaus konventioneller – und damit vorhersehbarer – gerät die Handlung, als der Enkel-Oma-Erzählstrang einsetzt. Allzu schnörkellos legt Bettie den Schalter zugunsten der Familie um. Andererseits spricht es für diesen Film, dass es in der Erscheinung und Wirkung der Protagonistin dabei keinen Bruch gibt: Wie so viele andere Ausreißer reist Bettie mit reichlich emotionalem Gepäck, das sie an einem bestimmten Punkt einfach auspackt oder neu sortiert. Es zeigt sich mehr als deutlich: Manchmal ist eben schon der Weg das Ziel.
Info: Madame empfiehlt sich (Elle s'en va, Frankreich 2013), ein Film von Emanuelle Bercot, mit Catherine Deneuve, Nemo Schiffman, Camille, Gérard Garouste u.a., 116 Minuten. Ab sofort im Kino
0
Kommentare
Noch keine Kommentare