Kultur

Filmtipps „Aheds Knie“ und „Silence Breakers“: Das polarisierte Israel

Zensur gegenüber unliebsamen Künstler*innen und das moralische Dilemma der Besatzung: Das Drama „Aheds Knie“ und der Dokumentarfilm „Silence Breakers“ widmen sich aktuellen Krisenerscheinungen in der israelischen Gesellschaft.
von ohne Autor · 18. März 2022
Innere Konflikte: Ein wütender Künstler in der Wüste: „X.“ verzweifelt an seinem Land. Und auch an sich selbst.
Innere Konflikte: Ein wütender Künstler in der Wüste: „X.“ verzweifelt an seinem Land. Und auch an sich selbst.

Jede*r sieht sofort, dass dieser Mann ein Fremdkörper ist. Ein aus Tel Aviv eingeflogener Filmemacher stapft durch eine Steinwüste in Israel. Dieser sich demonstrativ urban gebende Kulturmensch hasst die verdorrte Landschaft der Arava, aber auch das Telefongespräch scheint er zu verabscheuen. Woher kommen diese Wut und diese Anspannung?

Kein Wort zur Besatzung

X., so sein kryptischer Name, soll in einer Siedlung seinen jüngsten, international gefeierten Film vorstellen, und zwar auf Einladung der stellvertretenden Direktorin der israelischen Bibliotheken im Kulturministerium. Bevor die Gesprächsrunde mit dem Publikum beginnt, muss er auf einem Formular ankreuzen, welche Themen er ansprechen möchte. Unliebsame Dinge wie die Besatzung sind nicht erwünscht. Davon weicht die einem Flirt nicht abgeneigte, letztlich aber entschiedene Vize-Direktorin nicht ab.

Während die Filmvorführung näher rückt, entspinnt sich zwischen X. und Yahalom ein Gespräch, das in einen Showdown mündet. Das Formular zu unterschreiben käme für den rebellischen Kauz einem Verrat gleich. Mit drastischen Worten macht er Yahalom klar, wie gefährlich es sein kann, sich zu sehr mit den Strukturen der Macht einzulassen. In seinem immer schnelleren und zunehmend beleidigenden Wortschwall kehrt er sein Inneres nach außen. Dazu zählt vor allem eine tiefe Verachtung gegenüber dem heutigen Israel, das er von Nationalismus und Chauvinismus zerfressen sieht.

Theatralischer Endlos-Rap

Diese einem ekstatischen Endlos-Rap ähnelnde Performance ist ermüdend. Das lässt sich auch von anderen Szenen sagen, die X. mit seinem denkbar schroffen Gebaren prägt. Der Film folgt überwiegend eher einem Rhythmus von Wutausbrüchen und verletzenden Wortkaskaden als einem erkennbaren Erzählfaden. Einzig in den Momenten, wenn X. seiner sterbenskranken Mutter Videos von der kargen Schönheit der Arava schickt, können wir durchatmen. Vieles von dem, was zunächst fragmentarisch wirkt, fügt sich am chaotischen Ende zu einem nachvollziehbaren und bedrückenden Ganzen.

Der Filmtitel bezieht sich auf Ahed Tamini. Vor ein paar Jahren schlug die palästinensische Studentin einen israelischen Soldaten, als dieser in ihr Haus eindringen wollte. Für die Palästinenser*innen war die junge Frau eine Heldin. Ein israelischer Knesset-Abgeordneter schlug hingegen vor, ihr ins Knie zu schießen und sie zum Krüppel zu machen. X. steckt mitten in den Vorbereitungen zu einem Film über Ahed Tamini, als er in die Arava aufbricht. Seine Hingabe an das neue Projekt verträgt sich schlecht mit einem „linientreuen“ Filmabend.

Filme werden „inhaltlich überprüft“

Vieles an Nadav Lapids auf die Spitze getriebenem Drama, das in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde, hat einen realen Hintergrund. Auch Lapid reibt sich immer wieder an seinem Heimatland Israel. Und das ist nicht die einzige Parallele zu seinem Protagonisten. Das Dokument, das ihm zur Unterschrift vorgelegt wird, verweist auf den umstrittenen Kurs der ehemaligen Kulturministerin Miri Regev.

Die Likud-Politikerin hatte festgelegt, dass Filmprojekte, die öffentliche Gelder erhalten wollten, „inhaltlich überprüft“ werden müssen. Mehr als 3.000 israelische Künstler*nnen protestierten gegen dieses von ihnen als antidemokratisch empfundenes Vorgehen. „Aheds Knie“, in kürzester Zeit geschrieben und produziert, ist eine drastisch aufbereitete Nachbetrachtung dieses Konflikts, aber auch der persönlichen Erfahrungen von Lapid während dieser Zeit.

Soldat*innen berichten aus dem Alltag

Von ganz anderer Tonalität, aber nicht weniger brisant, ist der Dokumentarfilm „Silence Breakers“. Die Nichtregierungsorganisation  „Breaking the Silence” (BtS, auf Deutsch: „Das Schweigen brechen“) besteht aus ehemaligen israelischen Soldat*innen, die persönliche Erinnerungsberichte von Militärangehörigen sammeln, die in den besetzten Gebieten eingesetzt waren. So wollen sie auf Mängel und Rechtsverstöße beim Umgang mit der Bevölkerung im Westjordanland aufmerksam machen.

Die israelische Regisseurin Silvina Landsmann warf einen Blick hinter die Kulissen einer Gruppierung, die sich in weiten Teilen der Gesellschaft in Israel Feind*innen gemacht hat. Die Kamera ist dabei, wenn BtS-Mitglieder Besucher*innengruppen durch das seit 1967 von der Armee besetzte Hebron führen oder nach Vorträgen an Universitäten mit Studierenden diskutieren. Das Ausmaß von Hass und Ablehnung, die Angehörige dieser NGO seitens nationalistischer Siedler*innen erfahren, ist erschreckend.

Ein richtiges Leben im falschen?

Das gilt auch für die Rücksichtslosigkeit und Willkür gegenüber Palästinenser*innen, die in den Erinnerungsberichten zum Ausdruck kommen. Kann es ein richtiges Leben im falschen geben? Diese an das bekannte Diktum von Theodor W. Adorno angelehnte Frage schwingt in diesem Film stets mit. Ebenso die Gewissheit, das Schweigen keine Lösung ist.

Landsmann hält sich mit eigenen Positionierungen zurück. Umso mehr Raum finden die Sichtweisen von BtS und ihren Gegner*innen. So entstand ein sehr behutsamer und gedankenreicher Film, dessen ruhiger Erzählton überrascht. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich die öffentliche Bekämpfung dieser Anti-Besatzungsorganisation während der Dreharbeiten deutlich verschärfte.

Info:
„Aheds Knie“ (Israel/Deutschland/Frankreich 2021), ein Film von Nadav Lapid, mit Avshalom Pollak, Nur Fibak Yahalom, Yoram Honig u.a., 109 Minuten.
Kinostart: 17. März
https://grandfilm.de/aheds-knie/

„Silence Breakers“ (Israel, Frankreich, Deutschland 2021), ein Film von Silvina Landsmann, 88 Minuten.
Kinostart: 24. März
https://www.realfictionfilme.de/silence-breakers.html

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