Filmtipp: Wie junge Frauen in Chile, Hongkong und Uganda demonstrieren
Camino Filmverleih
„Chiles Regierung führt Krieg gegen uns“: Die Worte der Protest-Aktivistin Rayen sind keine Spur übertrieben. Dafür genügen wenige Szenen von den Massendemonstrationen in der chilenischen Hauptstadt Santiago, die der deutsche Filmemacher Franz Böhm für „Dear Future Children“ eingefangen hat. Der zentrale Platz ist in Rauch gehüllt, es krachen Schüsse und Tränengasgranaten. Seit Herbst 2019 kamen dort immer wieder Tausende von Menschen zusammen, um gegen die sich verschärfende soziale Spaltung in ihrem Land zu protestieren, und das auch durchaus gewalttätig. Das von der Regierung zu Hilfe gerufene Militär erklärte den „Krieg gegen einen mächtigen, unversöhnlichen Feind“. Bis November 2020 starben 37 Menschen bei den Unruhen.
Rayen: Protest trotz Todesangst in Chile
Mitten in jenem Protestjahr setzt der Film ein. An einer Wand hängen Fotos von getöteten Demonstrant*innen. Rayens größte Angst ist es, dass dort eines Tages auch ihr Bild zu sehen ist. Dennoch geht sie weiter zu den Demos. Weil es um die Zukunft geht. Um die eigene und um die ihrer Generation. Und um die ihrer zukünftigen Kinder, wie sie sagt. Diesen Antrieb teilt sie mit den beiden anderen Protagonistinnen des Films. Böhm zeigt, welche Folgen ihre kompromisslose Protesthaltung für ihr persönliches Leben und die Menschen, die ihnen nahe sind, hat. Stellvertretend für Millionen andere junge Erwachsene, die sich weltweit für eine bessere Gesellschaft oder einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt einsetzen, aber viel zu selten gehört werden, gibt er ihnen eine Stimme.
Pepper: Protest-Führungsfigur in Hongkong
Die junge Frau aus Hongkong nennt sich „Pepper“ und zählt zum Zeitpunkt der Dreharbeiten zu den führenden Figuren bei den Protesten gegen das von Chinas Zentralregierung aufgezwungene „Sicherheitsgesetz“. Dieses wird als endgültiger Todesstoß für die Demokratie in der Sonderverwaltungszone aufgefasst. Wir sind dabei, wenn die 25-jährige Studentin und ihre Mitstreiter*innen im Verborgenen an Online-Anwendungen feilen, um die Demonstrationszüge zu steuern. Oder wenn sie gemeinsam durch Hongkong ziehen. Auch dort hat Böhms Team unter größten Gefahren bedrückende Bilder vom Eingreifen der Staatsmacht eingefangen.
Hilda: „Fridays for Future“ in Uganda
Auch Hilda aus Uganda kämpft für eine bessere Zukunft. Oder dafür, dass sie und ihr Land, zugespitzt gesagt, überhaupt eine haben. Der Klimawandel sorgt dafür, dass Dürren und Überflutungen zunehmen und Menschen ihre Heimat verlieren. So erging es auch Hilda und ihrer Familie. Daraus erwuchs ihre Mission: Die Studentin warnt ihre Mitmenschen vor den Folgen von Umweltzerstörung und Erderwärmung. Als Gründerin des Ablegers der Bewegung „Fridays For Future“ in Uganda reist sie zu internationalen Konferenzen.
In Parallelmontagen folgt der Film Hilda, Pepper und Rayen durch den Alltag, insofern es einen solchen für sie überhaupt noch gibt. Alle drei haben es mit Regierungen zu tun, die völlig entgegengesetzte Interessen verfolgen und ihnen das Leben schwermachen. In Hongkong sind Pekings Gegner*innen mittlerweile zur Konspiration gezwungen, wenn sie nicht spurlos verschwinden wollen. Doch auch die besten konspirativen Kniffe sind keine Garantie. Wir sehen, wie sich Hilda für ihren Klimaaktivismus aufreibt und an ihrem Land verzweifelt. Rayens Beispiel zeigt, wie weit verzweigt und mobilisierungsfähig eine Protestbewegung sein kann. Und dass ziviler Ungehorsam politische Erfolge zu zeitigen in der Lage ist. Das macht Hoffnung, unterstreicht aber auch den hohen Preis, den viele dafür zahlen.
Doku zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Andererseits werden weniger hoffnungsvolle Einschätzungen zu anderen Schauplätzen durch den Film bestätigt. Obendrein wird deutlich, dass sich über Online-Kampagnen rasch Tausende Unterstützer*innen für eine gute Sache finden lassen, letztendlich aber das Engagement im analogen Raum zählt. Dies gleicht einem Marathonlauf, der ziemlich sein oder einsam machen kann.
„Dear Future Children“ kommt zu einer Zeit ins Kino, in der sich viele Dokumentarfilme mit globalen Protestbewegungen beschäftigen. So beschreibt etwa Jim Raketes Film „Now“ die „Generation Greta“ und ihr Engagement für Klimaschutz. Böhm geht es allerdings nicht darum, eine Bewegung zu porträtieren oder gar zu promoten. Anhand von Einzelbeispielen will er zeigen, wie ein durchaus gefährliches Engagement das eigene Leben durcheinanderwirbelt. Dafür setzt er konsequent auf die tunnelartige Perspektive seiner Hauptfiguren. Das bringt repetitive Eindrücke mit sich und lässt Hintergründe meist außen vor. Umso eindringlicher geraten allerdings die persönlichen Schicksale.
Der 22-jährige Regisseur will sein als Crowdfunding-Projekt gestartetes Werk als Film von jungen Leuten über junge Leute und ihren Aktivismus verstanden wissen. Über junge Leute, die sich nicht mit dem Status quo abfinden. Die Relevanz dieses auf Festivals mit Preisen gewürdigten Ansatzes zeigt sich auch darin, dass es während der Dreharbeiten Drohungen und Hass-Mails für die Macher*innen hagelte.
„Dear Future Children“ (Deutschland, Großbritannien, Österreich 2020), ein Film von Franz Böhm, mit Rayen (Chile), Pepper (Hongkong), Hilda Flavia Nakabuye (Uganda) u.a., FSK ab zwölf Jahre. Im Kino