Filmtipp: Wie ein Kapitalismuskritiker mit plötzlichem Reichtum umgeht
Pierre kann bei nahezu jeder Gelegenheit einen antiken Philosophen zitieren, doch ansonsten bietet sein Leben wenig Glanz. Im kanadischen Montreal verdingt sich der promovierte Philosoph als Paketbote, somit verdient der Alleinstehende immerhin mehr als ein*e Assistenzlehrer*in, wie er gerne betont. Womit wir bei seinem zweiten Standbein wären: der Kapitalismuskritik. Mit den Besitzenden (und davon gibt es in der Banken- und Kulturmetropole so einige) hat er wenig am Hut. Doch für einen Revoluzzer ist er viel zu illusionslos. Lieber hilft der Sohn einer Arbeiter*innenfamilie in einem Obdachlosenzentrum aus und wirft gefühlt jedem Bedürftigen ein paar Münzen in den Plastikbecher. Pierre ist durchaus ein guter Mensch. Und dennoch spürt man schnell, dass es so nicht weitergeht.
Von einem Moment auf den anderen gerät Pierres Welt aus den Fugen. Als er gerade eine Sendung abliefern will, gerät er in einen Raubüberfall und damit in eine existenzielle Krise. Plötzlich hält der Frankokanadier zwei mit mehreren Millionen Dollar gefüllte Sporttaschen in der Hand. Doch wohin mit dem all dem Geld? Nachdem er sich ein paar ungewohnte und mutmaßlich seit Langem ersehnte Annehmlichkeiten geleistet hat, wird diese Frage umso dringlicher. Unterstützung holt er sich bei einem Ex-Knacki und einer äußerst geschäftstüchtigen Escort-Dame. Zu dritt ersinnen sie einen Plan, die gierige und bigotte Finanzwelt, der letztlich auch Pierres Beute entstammt, mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.
Abgründe der Wohlstandsgesellschaft
Der Regisseur und Drehbuchautor Denys Arcand ist dafür bekannt, die Abgründe der Wohlstandsgesellschaft in leichter und humoristischer Form zu porträtieren. Zu seinen prominentesten Werken zählen „Der Untergang des amerikanischen Imperiums“ (1986) und die daran anknüpfende Tragikomödie „Die Invasion der Barbaren“, die ihm 2004 einen Oscar eingebracht hat.
Sein aktueller Film greift diesen thematischen Fokus auf, was nicht zuletzt der französische Originaltitel „La chute de l’empire américain“ („Der Absturz des amerikanischen Imperiums“) unterstreicht. Mit markigen Worten kommentiert er die Botschaft der Krimikomödie: „Wir sind alle Untertanen des amerikanischen Imperiums. Der moralische Verfall des Imperiums hat begonnen uns anzustecken. Die Omnipotenz des Geldes ist nur ein Symptom dieser Krankheit. Werden wir Antibiotika finden, die stark genug sind, die Seuche zu bekämpfen?“
Von dieser harschen Ausdrucksweise ist im Film wenig zu spüren. In bester Heist-Movie-Tradition geht es zunächst darum, den an sich nicht unsympathischen, aber heillos überforderten Protagonist*innen dabei zu beobachten, seinen Coup mit dem Millionenfang durchzuziehen. Im Fortlauf der Handlung bekommen der soeben aus der Haft entlassene Sylvain und Apanasia, die teuerste Prostituierte der Stadt, immer mehr Gewicht. Letztere trifft zunächst in ihrem ureigenen Geschäft auf Pierre. Am Ende bringt sie die entscheidende Ideen und Kontakte ein, um das Geld zu „waschen“.
Sittengemälde einer Bankenmetropole
Ätzende Gesellschaftskritik verpackt in komödiantischer Form: Darin liegt das große Potenzial von Arcands Konzept. Dass dieses nicht ganz ausgeschöpft wird, liegt daran, dass dem Humor und der Krimi-Dynamik im Lauf der Zeit die Puste ausgehen. Dafür nimmt sich Arcand viel Zeit, um anhand von Apanasia, die eigentlich Camille heißt, ein von einem gemächlichen Erzählstil getragenes Sittengemälde dieser Stadt zu skizzieren, in der schwerreiche Männer den Ton angeben. Immerhin ist in diesem Strang mehr zu holen, als die vorbelastete Konstellation „Tollpatschiger Akademiker lässt sich mit geheimnisvoller Hure ein“ vermuten lässt.
Als Kontrast zur ebenso mondänen wie verlogenen Seite dieses Kontextes sind immer wieder scheinbar reale Obdachlose zu sehen, die in Ladeneingängen schlafen oder an U-Bahnhöfen herumhängen. Nicht nur angesichts dieses sozusagen dokumentarischen Anspruchs mutet es merkwürdig an, wenn andererseits Klischees bedient werden, indem zum Beispiel nahezu alle Gangster*innen dunkelhäutig sind. So hinterlässt diese locker verpackte und an Anspielungen reiche Kapitalismuskritik einen unterhaltsamen, aber auch zwiespältigen Eindruck.
Info: „Der unverhoffte Charme des Geldes“ („La chute de l’empire américain“, Kanada 2018), ein Film von Denys Arcand, mit Alexandre Landry, Maripier Morin, Rémy Girard u.a., ca. 129 Minuten. Auf DVD und Blu-ray.