Kultur

Filmtipp „Was geschah mit Bus 670?": Der mörderische Alltag in Mexiko

Auf der Reise in ein vermeintlich besseres Leben verschwindet ein junger Mann. Seine Mutter begibt sich auf Spurensuche. Das Filmdrama „Was geschah mit Bus 670?“ erzählt von Hoffnungslosigkeit und Gewalt in Mexiko.
von ohne Autor · 11. Februar 2022
Schweigen und Angst: Magdalena (Mercedes Hernández) erkundet ein in vielerlei Hinsicht verwüsteten Landstrich.
Schweigen und Angst: Magdalena (Mercedes Hernández) erkundet ein in vielerlei Hinsicht verwüsteten Landstrich.

Im Norden Mexikos tobt seit Jahren der Drogenkrieg. Es ist eine Todeszone. Menschen verschwinden am hellichten Tage. Das Gebiet nahe der Grenze zu den USA ist aber auch ein Transitgebiet für Migrant*innen aus dem Süden. Die kriminellen Strukturen fordern stetig neue, oftmals gezielt ausgewählte Opfer: Aktivist*innen, Jounalist*innen, Zuwander*innen. Oder auch Menschen, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Zahllose Tragödien haben sich in diesem Hort von Gewalt und Gesetzeslosigkeit abgespielt. „Was geschah mit Bus 670?" bringt uns diese verheerende Lage anhand von Einzelschicksalen nahe.

Vor zwei Monaten sind Magdalenas Sohn Jesús und sein Freund aus ihrem Dorf in einer Region in Zentral-Mexiko mit dem Bus in Richtung US-Grenze aufgebrochen. Nach zwei Monaten ohne Lebenszeichen wird die Leiche des Freundes gefunden. Jesús bleibt verschwunden. Die Behörden bedrängen Magdalena, ihren Sohn für tot erklären zu lassen, doch sie weigert sich. Und begibt sich auf einen Trip durch die Todeszone, um herauszufinden, was wirklich mit Jesús und jenem Bus 670 geschehen ist.

Moralischer Niedergang eines Landes

In ihrem Langfilmdebüt macht die mexikanische Regisseurin Fernanda Valadez einen moralischen und zivilisatorischen Niedergang anschaulich, der längst das gesamte Land erfasst hat. Mit dokumentarischer Präzision skizziert sie, welche unwürdigen bürokratischen Prozeduren Eltern durchmachen, die mit dem Tod ihres Kindes konfrontiert werden. Vieles bleibt aber auch spekulativ. In langen Einstellungen fährt die Kamera durch Orte der Leere und Stille. Die Bilder zeigen, wie die alltäglichen Entführungen und Morde ganze Dörfer entvölkern und veröden lassen. Es braucht keine weiteren Erklärungen, um die bleierne Schwere aus Schweigen und Angst erfahrbar zu machen.

„Was geschah mit Bus 670?" erzählt aber auch von einer besonderen Frau. Gerade diese zusätzliche Ebene macht die besonders eindringliche Wirkung dieses Dramas aus. Jene bleierne Schwere wird durch eine permanente Bewegung kontrastiert. Gemeint ist Magdalena. Rastlos wandert sie durch eine Landschaft, die weithin sich selbst überlassen zu sein scheint. Bis es an der nächsten Ecke zu einer Begegnung kommt, die die Gefahr subtil spürbar macht. Weil sich Magdalena langsam, aber stetig dem Kern ihrer Reise nähert.

Misstrauen als Überlebensstrategie

Im Stil eines Roadmovies folgt der Film Magdalenas Spurensuche. Jenseits des beunruhigenden Anlasses steckt in dem Trip auch eine große Portion Selbsterfahrung und Horizonterweiterung. Man hat den Eindruck, dass diese kaum des Lesens und Schreibens mächtige Frau sich zum ersten Mal überhaupt weitab von ihrem Dorf aufhält. Mit ihren mitunter scheinbar ungläubigen Augen entdecken wir eine Gegend, wo Misstrauen gegenüber Fremden eine Überlebensstrategie ist. Wo nur sehr wenig und meist nur leise gesprochen wird. Was auch bedeutet, dass dieser Film mit sehr wenig Text auskommt.

Die erzählerische Tiefe und die sich bis zur Atemlosigkeit steigernde Spannung speisen sich vor allem aus der Bildsprache. Kamerafrau Claudia Becerril Bulos findet immer wieder neue und ungewöhnliche Perspektiven, um Magdalenas Trip ins Ungewisse einzufangen. In einigen Dialogen ist ihr Gegenüber nicht zu sehen. Das sorgt für leichtes Gruseln, unterstreicht aber auch die kafkaesken Zusammenhänge einer schwer zugänglichen Region, der trotz ihrer sonnendurchfluteten Schönheit etwas Bedrohliches anhaftet. Magdalenas zermürbende, aber auch gefährliche Lage wird so umso deutlicher.

Realer Horror der Hinterbliebenen

„Es handelt sich um eine nationale Krise, und wir haben versucht, ein wenig von all diesen Geschichten zu erzählen“, sagt Valadez über ihren Film. Indem sie mit wohl dosierten Thriller- und Horrorelementen spielt, bringt sie uns den realen Horror, der hinter den zahllosen Geschichten all der Toten und Hinterbliebenen steckt, denkbar eindringlich nahe. Die im Hintergrund oft mitschwingende Gewalt entlädt sich nur selten, sodass Magdalenas Suche nicht aus dem Fokus gerät.

„Was geschah mit Bus 670?" lebt nicht zuletzt von einer grandiosen Hauptdarstellerin. Die gestandene Schauspielerin Mercedes Hernández verkörpert auf schnörkellose, aber fein nuancierte Weise eine unerschrockene Frau, der man anfangs kaum zutraut, ihre Mission zu erfüllen. Magdalena wächst schier über sich hinaus, wenngleich am Ende ihrer Reise ganz neue Fragen auf sie warten. Beim Sundance Film Festival wurde der Film mit dem Publikumspreis und dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Info: „Was geschah mit Bus 670?" („Sin señas particulares“, Mexiko/Spanien 2020), Regie: Fernanda Valadez, Drehbuch: Astrid Rondero und Fernanda Valadez, Kamera: Claudia Becerril Bulos, mit Mercedes Hernández, David Illescas, Joan Jesús Varela u.a., 99 Minuten, FSK ab 16 Jahre.

https://www.mfa-film.de/kino/id/was-geschah-mit-bus-670/

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