Filmtipp „Was du willst – What Walaa Wants“: Der Traum von der Polizei
Wenn die Menschen im palästinensischen Flüchtlingslager Balata ihren Alltag beschreiben, ist oft von einem Gefängnis die Rede. Tief sitzt die Verzweiflung in den Familien, die sich in diesem Labyrinth aus düsteren Mauern seit Generationen eingerichtet haben. Sie bricht sich Bahn in Gewalt, zeigt sich aber auch in dem kollektiven, von der Propaganda beförderten Stolz auf die besonders hohe Zahl von „Märtyrern“, die dieser völlig überfüllte Ort im Kampf gegen Israel hervorgebracht hat.
Trotz oder gerade wegen ihrer ausweglosen Lage haben die jungen Leute aber auch Träume. So auch Walaa. Die Teenagerin möchte unbedingt eine Ausbildung bei den Sicherheitskräften der palästinensischen Autonomiebehörde absolvieren – nicht gerade ein selbstverständlicher Wunsch für ein Mädchen aus dem Westjordanland, wie die Reaktion ihrer Familie zeigt. Doch mit den üblichen Zielen wie Heiraten und Kinder bekommen kann sie nichts anfangen.
Ohne Eltern im Flüchtlingslager
Für Walaa ist ihr Berufswunsch die natürlichste Sache der Welt. Voller Idealismus drängt es sie zum Kampf für etwas, was sie für die Sache ihres Volkes hält. Auf eine gewisse Weise tut sie, die eigentlich alles anders machen will, es ihren Eltern gleich. Die Mutter jahrelang im israelischen Gefängnis und der Vater im Exil: Beide zahlten für ihre Aktivitäten im endlosen Nahostkonflikt einen hohen Preis. Walaa und ihre Geschwister wuchsen jahrelang ohne Eltern auf. So etwas hinterlässt Spuren.
In ihrem Dokumentarfilm zeigt Regisseurin Christy Garland, wie eine rebellische junge Frau unter schwierigsten Bedingungen unbeirrt ihren Weg geht. Vor drei Jahren lief der Film bei der Berlinale und kommt nun endlich in die deutschen Kinos. Etwa fünf Jahre lang begleitete die Kanadierin Walaa bei ihrem Aufbruch in ein neues Leben, beginnend ab dem 15. Lebensjahr. Sie erzählt die Geschichte einer Unangepassten, die es ausgerechnet dort hinzieht, wo sich ziemlich viel darum dreht, Regeln zu befolgen und Hierarchien zu respektieren.
Dieser Aufbruch ist ein langer und steiniger Weg. Das neue Leben beginnt in einer Polizeikaserne. Kein Ort für Rebell*innen, eher für Angepasste. Dort, sozusagen auf dem Boden der Tatsachen, werden Walaa und die wenigen anderen jungen Frauen von männlichen Ausbildern gedrillt, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrechen. Walaa hat Schwierigkeiten, sich selbst zu kontrollieren und Vorschriften zu verinnerlichen. Das bringt ihr immer wieder Ärger ein. Ist sie ein hoffnungsloser Fall? Die Prüfungen ihres moralischen und körperlichen Durchhaltevermögens werden nicht weniger. Und das bezieht sich nicht nur auf den Kasernenalltag.
Intimes Porträt unter extremen Bedingungen
Walaas Entwicklung bietet viele Überraschungen. Für sie selbst, auch für diejenigen, die dieser Handlung folgen, und das nicht selten mit großem Staunen. Weil es Garland gelingt, trotz eines übermächtig anmutenden Kontextes ein intimes Porträt einer Persönlichkeit zu zeichnen und ihre Widersprüche subtil herauszuarbeiten, zugleich aber auch die Dynamiken mit anderen Menschen, insbesondere mit ihrer Mutter, die ihr in vielen Dingen ähnelt, zu beleuchten. Garland reiste all die Jahre immer wieder in die Palästinensergebiete und drehte dort allein auf sich gestellt. Das scheint die Nähe zu den Menschen und eine unbefangene Atmosphäre befördert zu haben.
In Walaas Geschichte werden Bruchstellen einer Gesellschaft sichtbar, die keine anderen als extreme Lebensumstände kennt. Der Fokus liegt allerdings auf den unmittelbaren Erfahrungen der Protagonistin. Diese subjektive Perspektive ermöglicht gleichermaßen erschütternde und erhellende Eindrücke vom Dasein zwischen Flüchtlingslager, Kaserne und israelischen Checkpoints.
Ungewohnte Einblicke in den Sicherheitsapparat
Zudem werden Bilder gezeigt, die man so noch nicht gesehen hat. Garland war nach eigenem Bekunden die erste Filmemacherin, die mit der Kamera ins Innere der palästinensischen Sicherheitskräfte in der West Bank vordringen durfte. Also ins Herz eines umstrittenen Apparats. Manches von dem, was wir sehen, mutet seltsam vertraut, mitunter auch skurril an.
Die besondere Kraft dieses Films liegt darin, dass er gegenüber dem Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern, aber auch gegenüber der Autonomiebehörde, eine weitgehend neutrale Position wahrt. Walaas Geschichte steht für sich und spricht für sich, auch im Hinblick darauf, wie Chaos, Gewalt und Propaganda einen Menschen prägen können, und das nicht nur in jungen Jahren. Doch es gibt auch Raum für Hoffnung. Bald könnte es Zeit für einen weiteren Film über die rebellische Frau aus der West Bank sein.
Info: „Was du willst – What Walaa Wants“ (Kanada/Dänemark 2018), ein Film von Christy Garland, mit Walaa Khaled Fawzy Tanji u.a., OmU
Im Kino
Termine:
ab 7. Oktober: Mosbach (Kinostar)
ab 8. Oktober: Heilbronn (Kinostar Arthaus)
ab 6. November: Bayreuth (Kino ist Programm)
Oldenburg: in Vorbereitung
Berlin: in Vorbereitung
Weitere Infos: https://tricorderuniverse.com/