Filmtipp „Trans – I Got Life”: Endlich im richtigen Körper
Kimmel & Metz Filmproduktion UG haftungsbeschränkt
Als es Julia noch gab, fühlte sie sich wie ein Geist – als Person schwer greifbar. Aus Julia wurde Julius. Und der schaut auf sich wie auf eine Tonfigur, die Stück für Stück entsteht. Das gilt auf psychischer wie auf körperlicher Ebene: Julius hat mehrere Operationen im Bereich der Transgender-Chirurgie über sich ergehen lassen, um zum Mann zu werden. Werden weitere nötig sein? Weder Julius noch seine Partnerin wissen, wo und wie diese Reise enden wird. Doch wenn der Münchner Busfahrer vor der Kamera über sein Leben berichtet, ist Optimismus zu spüren.
Das lässt sich auch von einigen andere Geschichten sagen, die in „Trans – I Got Life“ entpackt werden und das Prinzip der Tonfigur immer wieder in Erinnerung rufen. Sieben Transmenschen legen Zeugnis davon ab, wie sie wurden, was sie immer waren, nur eben anfangs gefangen in einem falschen Körper. Wir erfahren, wie es dazu kam, dass sie ihr Schicksal in die Hand nahmen und welch hohen Preis sie dafür zahlten. Was der Weg zum wahren Ich für die engsten Angehörigen bedeutet. Und wie zentral deren Part in diesem Prozess ist. Vor allem aber, warum es für diese Menschen im wörtlichen Sinne zu einer Frage des Überlebens wurde, endlich im richtigen Körper zu leben.
Ein Plädoyer gegen Diskriminierung
Die Filmemacherinnen Imogen Kimmel und Doris Met ermöglichen Einblicke in Lebensgefühle und Lebenswirklichkeiten, die auch viele Jahre nach dem Coming Out oder der ersten OP noch immer zerrissen sind. Der Film trägt mitunter aber auch melancholische Farben. Etwa, wenn es um medizinische Komplikationen bei der Transition oder um die Ängste und Einsamkeit der Protagonist*innen geht. Oder um die anhaltende Diskriminierung von Transmenschen. Der Film soll auch als Plädoyer für Selbstbestimmung und mehr Toleranz verstanden werden.
Der Fokus liegt aber ganz klar auf den Protagonist*innen und ihren erstaunlich intimen und häufig äußerst abgeklärten Selbstzeugnissen. Manche dieser Einzelgeschichten könnte einen gesamten Film füllen. Zum Beispiel die von Jana. Die junge Frau würde sich niemals als „trans“ oder „Transgender“ bezeichnen. Sondern schlicht und ergreifend als Frau. Geboren wurde sie allerdings im Körper eines Jungen. Wir erleben, wie sie sich auf den radikalsten Schritt ihres Lebens vorbereitet: die erste Operation im Rahmen der Geschlechtsanpassung. Die Kamera hält eine gefühlte Ewigkeit voll auf ihre nur vordergründig ungerührte Miene, mit der sie die Ausführungen des Chirurgen über die Details und die Konsequenzen des Eingriffs verfolgt. Auch in dieser Schlüsselszene gelingt der Spagat zwischen einem schonungslosen und behutsamen Blick auf das Thema: Jana und die anderen rücken ins Rampenlicht, ohne bloßgestellt zu werden. Das gilt auch für die Szenen im OP-Saal.
Fakten und Visionen
Jener Chirurg ist Jürgen Schaff, ein weltweit angesehener Top-Spezialist. Schaff und seine Münchner Praxis sind Dreh- und Angelpunkt vieler Geschichten. Mit weiteren Expert*innen füttert Schaff den häufig sehr auf medizinische Aspekte bedachten Blick auf das Thema Transition mit Fakten und Visionen. Gerade dadurch wird der Film aber auch sehr anschaulich. Das gilt für jede der sieben Geschichten, aber auch für den größeren Kontext.
Der Reiz des Ganzen liegt auch darin, dass wir es mit sehr unterschiedlichen Charakteren zu tun haben. Einige entstammen Milieus, die viele auf den ersten Blick für nicht besonders offen gegenüber Menschen mit Transgender-Biografie halten dürften. Da wäre zum Beispiel Elisabeth Landsteiner, die erste und bislang einzige Frau im Rang eines Obersten in der Bundeswehr. Als Gleichstellungsbeauftragte betreut sie ein Ausbildungskommando. Oder auch Verena, seinerzeit Gabelstaplerfahrerin in München. Beim Dirndlkauf wirkt die urbayerisch auftretende Frau ganz bei sich, doch tatsächlich sucht sie noch immer nach ihrem Platz im Leben. Viele Narben, die auch mit ihrer ländlichen Herkunft zusammenhängen, sind noch nicht verheilt.
Schöpfungsakt mit offenem Ende
Apropos Narben: Bereits die Eröffnungssequenz zeigt, dass die Filmemacher*innen auch auf eine aufwendige, aber stets subtile Bildästhetik setzen, um das Publikum für ihr Thema zu sensibilisieren. Aus der rauschenden Meeresbrandung formt sich ein mit Operationsnarben übersäter Körper, während im Hintergrund zwei Chirurg*innen über die Zukunft künstlicher Penisse philosophieren. Am Ende ist klar: Der Mensch kann anderen zu ihrem wahren Geschlecht verhelfen. Doch dieser „Schöpfungsakt“ ist keinesfalls das Ende solcher Geschichten.
Info: „Trans – I Got Life“ (Deutschland, Russland, USA 2021), ein Film von Imogen Kimmel und Doris Metz, Bildgestaltung: Sophie Maintigneux und Birgit Guðjónsdóttir, 95 Minuten, ab 12 Jahre.
Im Kino
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