Filmtipp „Taste of Cement“: Ganz unten im Exil im Libanon
3 Rosen/deutschfilm
Es muss eine paradoxe Erfahrung sein: Syrische Männer fliehen vor Krieg und Zerstörung und heuern als Bauarbeiter im benachbarten Libanon an. Während ihr Land in Schutt und Asche versinkt, helfen sie mit, Schneisen des Bürgerkriegs in Beirut zu schließen und die Stadt wachsen zu lassen. Während sich Syriens Zukunft derzeit niemand so recht ausmalen mag, ist sie in der libanesischen Metropole längst da. Nichts unterstreicht dies deutlicher als die zahllosen Baukräne über den Dächern der Stadt.
Menschen, die alles aufgeben
In „Taste of Cement“ geht es um Menschen, die alles aufgegeben haben, um an der Levante einen Neuanfang zu wagen und die dennoch weitgehend in der Vergangenheit leben. „Wenn alle fort sind, bleibt nur die Erinnerung“, heißt es in einem Klagelied, das ein alter Mann vor Kriegsruinen irgendwo in Syrien anstimmt. Die nachdenklichen jungen Männer, die die Szene in einem arabischen Fernsehkanal verfolgen, könnten seine Söhne sein.
Syrische Bauarbeiter gibt es im Libanon seit Jahrzehnten, doch für die jetzige Generation ist alles anders. Nicht nur der Broterwerb, sondern das nackte Überleben trieb sie über die Grenze. Mit sich nahmen sie die Bilder von Erschossenen und Verschütteten, die Trauer um verlorene Angehörige und die Angst um die, die in Syrien geblieben sind.
In den Himmel wachsendes Beirut
Zerstörung und Aufbau ist ein Gegensatz, den die Migranten tagtäglich durchleben. Der syrische Filmemacher Ziad Kalthoum, der vor einiger Zeit ebenfalls aus dem zerfallenden Assad-Staat geflohen ist, hat dafür eine überwältigende Bildsprache gefunden. Bereits die Eingangssequenz hinterlässt einen wirkungsvollen Eindruck. Zunächst tastet die Drohnenkamera eine Felswand in Nahaufnahme ab, nimmt im erweiterten Fokus ein planiertes Baugrundstück am Rand von Beirut ins Visier und fliegt auf das Häusermeer in Richtung Küste zu, wo die Stadt vielerorts in den Himmel wächst.
Die nächste Einstellung zeigt die Syrer auf der Baustelle. Sie zersägen Betonelemente, verteilen flüssigen Zement auf dem Boden oder arbeiten an Stahlbetonwänden. Es sind ebenso monumentale wie unmittelbare Eindrücke, die einerseits an ikonografische Wolkenkratzer-Bauarbeiter-Motive aus den 30er-Jahren erinnern, zugleich aber auch Lärm und Dreck fast physisch spürbar machen.
Urgewalten im Krieg und auf dem Bau
Dem gegenüber stellt Khaltoum die oftmals leidvollen Erfahrungen, die die Männer in den letzten Jahren gemacht haben. Mal gibt die Erzählerstimme den Rahmen vor, mal sind es Handyvideos oder TV-Reportagen aus dem umkämpften Syrien. Unverkennbar spielen dabei auch die Erinnerungen des 1981 geborenen und mittlerweile in Berlin lebenden Regisseurs eine Rolle.
Dabei wird die Dynamik der einen Sphäre in der anderen wieder aufgegriffen, oftmals dank eines mitunter gewagten, aber durchweg bestechenden Schnitts. Rattert eben noch ein feuernder Panzer durch eine syrische Ruinenstraße, zeigt das nächste Bild, welche Urgewalten beim Zuschneiden von Beton frei werden.
Schweigen aus Angst vor dem IS oder Assad
Entfesselt werden sie von Männern, die mal als unscheinbare Masse und mal mit größtmöglicher Individualität in Szene gesetzt werden. Was durchaus eine Herausforderung war: Mitunter meint man, die Gefilmten bewegen sich fast widerwillig vor der Kamera. Zudem schweigen sie durchweg: aus Angst vor dem syrischen Geheimdienst und dem IS, aber auch vor den Auftraggebern, die ihre Not auf menschenverachtende Weise ausnutzen.
So wird ein anderer Aspekt in bedrückender Weise deutlich: Die syrischen Bauarbeiter sind im Libanon allenfalls als unsichtbare Selbstausbeuter willkommen. Ein Transparent am Fuße des Hochhauses informiert über eine nur für jene Syrer geltende Ausgangssperre am Abend. Wie sie sehen wir die Stadt stets als ferne, nahezu unerreichbare Welt. Nach dem Ende ihrer Zwölf-Stunden-Schicht führt der Weg der billigen Arbeitskräfte direkt hinab in die labyrinthartigen Kellergänge der werdenden Topimmobilie. Dort campieren die Männer notdürftig zwischen Metallschrott und Wasserlachen. Albträume und Sehnsüchte gedeihen dort besonders gut.
Bis ans Limit
Zu den Schrecken des Krieges und den Folgen des täglichen Schuftens bis am Limit weit oben auf dem Gerüst wird hier, also ganz unten, auch die Erfahrung der Ausgrenzung in wuchtigen Bildern erfahrbar. Diese kraftvolle, ästhetisierende Optik lässt einen die, durch den Perspektivenwechsel nur bedingt aufgelockerte, dramaturgische Monotonie fast vergessen. Khaltoum widmet den Film allen „Arbeitern im Exil“, doch der Bezug zu den Schrecken in Syrien ist allgegenwärtig.
Info: „Taste of Cement (Deutschland/Libanon 2017), ein Film von Ziad Kalthoum, Kamera: Talal Khoury Kamera, OmU, 85 Minuten
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