Filmtipp „Super Friede Liebe Love“: Ganz unten, aber nicht am Ende
Wo und wie Wohnungslose leben, zählt zu den Sphären, um die viele lieber einen Bogen machen. Die Ignoranz beginnt schon damit, Wohnungs- und Obdachlose in einen Topf zu werfen. Dabei leben Wohnungslose (laut Schätzungen sind es bundesweit rund 860.000) meist keinesfalls auf der Straße, sondern lediglich an wechselnden Orten, sei es in sozialen Einrichtungen oder bei Freunden.
Langzeitbeobachtung im katholischen Männerheim
Der Dokumentarfilmer Till Cöster hat sich nicht gescheut, die Lebensumstände dieser Menschen näher zu betrachten. Noch als Student der Hochschule für Fernsehen und Film in München drehte er zweieinhalb Jahre lang in einem katholischen Männerwohnheim in der bayerischen Metropole. Aus dieser Langzeitbeobachtung formten sich Geschichten, die weniger von Scheitern und Elend erzählen, sondern individuelle Weisen aufzeigen, sich nicht völlig aufzugeben und seine Würde zu bewahren. Und womöglich auch eine eine neue Perspektive zu entwickeln.
Ein gutes halbes Dutzend der Bewohner legte vor der Kamera immer wieder Zeugnis ab. Manchmal sind es Beiläufigkeiten, mitunter aber auch bewegende Geständnisse. Jede Persönlichkeit offenbart einen ganz anderen Blick auf diese kleine oder auch die ganz große Welt. Zwischen den Monologen der Bewohner fährt die Kamera immer wieder durchs Haus und liefert unaufgeregte Einblicke in ihren Alltag, der vor allem darin besteht, sich zu organisieren. Die Betreuer treten fast nie in Erscheinung.
Auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereiten
Dieses ausgeprägte Eigenleben rührt daher, dass es sich bei dem „Haus an der Kyreinstraße“ im Stadtteil Obersendling um einen ganz besonderen Ort handelt. Dort finden jene eine Bleibe, die anderswo kaum eine Chance haben. Zum Beispiel Menschen mit einer psychiatrischen oder einer Suchtkrankheit. Ziel der Betreuung ist, die Männer auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten. Dazu passt, dass eine der wenigen Einzugsvoraussetzungen darin besteht, dass jeder in der Lage sein muss, sich in seinem Einzelzimmer selbst zu versorgen. Manchen gelingt, wie zu sehen ist, der Absprung, für andere ist es zu spät.
In diesem Rahmen werden persönlichen Eigenheiten, sofern sie niemanden verletzen, kaum Grenzen gesetzt. Einer der Bewohner – die meisten sind in etwa zwischen 50 und 60 Jahre alt – wandert immer wieder durch die Flure des unscheinbaren 60er-Jahre-Klotzes und murmelt dabei die Worte „Super, Friede, Liebe, Love“. Was zunächst durchgeknallt wirkt, entpuppt sich als Mantra, mit dem er sich und die anderen vor all dem Übel der Welt schützen möchte. Sämtliche Wände seines Zimmers sind damit bekritzelt. Ist der Mann gerade nicht im Bild, kann man ihn häufig aus dem Off hören. Es ist eine Art Soundtrack, der mal mehr, mal weniger dem Ganzen seinen Stempel aufdrückt.
Offenheit und Offenherzigkeit der Bewohner
Nicht immer liefen die Dreharbeiten ohne Pannen. Doch unterm Strich beeindruckt die Offenheit und Offenherzigkeit der Bewohner vor der Kamera, aber auch die Solidarität untereinander. Meist kreist das, was sie berichten, weniger darum, was sie in diese Lage gebracht hat. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, wie sie versuchen, ihrem Leben eine (neue) Richtung und eine Idee zu geben, mögen die Ideen manchmal auch wie ein Hirngespinst wirken. Da sitzt einer, Typ Alt-Hippie mit langen weißen Haaren und Rauschebart, inmitten von Papierbergen und brabbelt unablässig technische Begriffe. Schwer vorstellbar, dass er eines Tages wirklich ein Patent für ein umweltschonendes Energiesystem anmeldet. Doch genau dieser Traum ist sein Antrieb.
Aus der Bahn geworfen wurden sie alle. Der eine als Kind, der andere vor wenigen Jahren. Manchmal ist auch in groben Zügen zu erfahren, was genau ihnen widerfahren ist. In seinem gepflegten Zimmer, das auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Wohnung anmutet, sitzt ein gepflegter Grauhaariger im Oberhemd und rezitiert Joseph von Eichendorffs „Mondnacht“. Nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, endete er in Dauersuff und Chaos. Ein anderer, eher melancholischer Mann spielt mit zitternden Fingern Gitarre und scheint mit einem Bein in einem Leben außerhalb dieser Mauern zu stehen. Doch seine traumatische Kindheit und die anschließenden Drogenexzesse haben tiefe Spuren hinterlassen.
Panorama vom Rand der Gesellschaft
Regisseur und Drehbuchautor Till Cöster gelingt der Spagat, all diese Gestrauchelten in all ihrer Individualität zu porträtieren, ohne sie voyeuristisch auszuschlachten oder zu verklären. In dem äußerst ruhigen, aber atmosphärisch dichten Erzählfluss entsteht ein Panorama vom Rand der Gesellschaft, das nachdenklich macht und bei dem einen oder anderen dafür sorgen könnte, seine Sichtweise auf diese Sphäre zu hinterfragen.
Info: „Super Friede Liebe Love“ (Deutschland 2017), ein Film von Till Cöster, 90 Minuten
Kinostart: 5. September