Kultur

Filmtipp „Stress“: Die Zeit nach dem Krieg heilt keine Wunden

Jeden Tag nehmen sich 20 US-Kriegsveteran*innen das Leben. Der Dokumentarfilm „Stress“ erforscht die Gründe dafür. Anhand von Einzelschicksalen erzählt er von seelischen und körperlichen Verletzungen der Militäreinsätze.
von ohne Autor · 7. Februar 2020
Nach dem Krieg: der traute Alltag durch die Augen gezeichneter Menschen
Nach dem Krieg: der traute Alltag durch die Augen gezeichneter Menschen

Eine Explosion kann das Leben verändern. So beschreibt Joe Boots die Erfahrung, die ihn aus der Bahn geworfen hat. Nach dem Dienst in der US-Armee kam er als physisches und psychisches Wrack zurück nach Pennsylvania.

Ein Leben mit Medikamenten und Alkohol

Die Ärzt*innen verschrieben ihm einen Cocktail aus Psychopharmaka und überließen ihn sich selbst. Der Veteran hatte im wahrsten Sinne des Wortes ausgedient. Später ersetzte er die mit bedrohlichen Nebenwirkungen versehenen Medikamente durch Alkohol. Sein ausgemergelter, wenn auch äußerlich unversehrter Körper zeugt von den Strapazen der vergangenen Jahre.

Joe Boots ist einer von fünf Heimkehrern, die über die Folgen ihres Armeedienstes in Krisengebieten berichten. „Wenn du in den Krieg ziehst, bleibt ein Teil von dir dort, sonst würdest du es nicht zurück nach Hause schaffen", heißt es an einer Stelle. Das bedeutet, dass jeder Mensch, der sich auf Kampfeinsätze einlässt, als ein anderer zurückkehrt. Der Satz steht aber auch für den meist vergeblichen Versuch, traumatische Erfahrungen und Schuldgefühle zu verdrängen. Es ist ein Thema, was erst seit den letzten Jahren ein ernsthaftes öffentliches Interesse erfährt. Nicht nur in den USA, sondern in westlichen Gesellschaften überhaupt.

Suizidraten steigen dramatisch

So ist es nicht verwunderlich, dass die Berichterstattung über die Selbstmordwelle unter den Veteranen erst in jüngerer Zeit Fahrt aufgenommen hat. Seit 2001, vor allem aber seit der Irak-Invasion von 2003, haben Freitode von heimgekehrten Armeeangehörigen um 32 Prozent zugenommen, ist der „Neuen Zürcher Zeitung“ zu entnehmen. Unter den 18- bis 29-jährigen Männern hat sich die Zahl der Opfer mehr als verdoppelt. Bei Frauen ist sie um 89 Prozent in die Höhe geschnellt. Viele von ihnen erlitten sexuelle Gewalt. Mit anderen Worten: In dieser Zeit starben mehr (Ex-)GIs durch Suizid als während die Kämpfe im Irak und in Afghanistan.

Wie ein gewaltiges Dickicht bauen sich die Erinnerungen auf, die der Berliner  Dokumentarfilmer Florian Baron zusammengetragen hat. Es braucht eine Weile, bis in dem Wust aus individuellen und gemeinsamen Erfahrungen so etwas wie ein roter Faden zu erkennen ist. Das liegt auch daran, dass meist längere Monolog-Passagen aus dem Off zu hören sind, während die Kamera den Protagonist*innen durch ihren Alltag in Pittsburgh folgt.

Armee hat kein Verständnis für Schwäche

Die Aufmerksamkeit gilt voll und ganz den sehr persönlichen Selbstzeugnissen über das gegenwärtige und das gewesene Leben im Schatten des Tötens. Wohl auch, weil den Betroffenen bislang viel zu selten zugehört wurde. Schon gar nicht in der Armee, wo seinerzeit jede Frage nach Hilfe in psychischer Not als Schwäche ausgelegt wurde. Ein einordnender Kommentar fehlt.

Diese vier Männer und eine Frau wissen, wie es ist, sich als Fremdkörper zu fühlen und die Menschen um sich herum wie potenzielle Gefahren wahrzunehmen. Todesangst, Abstand halten, der Drang, jede Situation unter Kontrolle zu haben: Immer wieder stellen sich Reflexe des Krieges ein, so als wären die Veteran*innen in einem Kokon gefangen. Als gäbe es kein Vorwärts.

Ein gutes Leben in der Truppe?

Im Film wird dieser Zustand durch stark verlangsamte Einstellungen nachempfunden. Mal wirken die Straßenszenen wie ein Stillleben, mal tragen sie albtraumhafte Züge. Die Kluft zwischen Innen- und Außenwelt ist überdeutlich.

Dass die frühere Stahlmetropole Pittsburgh zum Schauplatz erkoren wurde, hat einen Grund: Aus der Stadt im Rust Belt kommen seit langer Zeit überdurchschnittlich viele Rekrut*innen. Das liegt auch daran, dass einzig eine Zukunft als Berufssoldat*in während der Zeit des Niedergangs für viele Einwohner*innen ein gutes und sicheres Leben versprach. Diese Überzeugung – und das ist eine der Überraschungen – haben sich einige der Befragten bewahrt.

Es gibt auch Hoffnung

In seinem Film, der unter anderem im Wettbewerb der Festivals „Dok Leipzig“ und „Achtung Berlin“ gezeigt wurde, bringt Florian Baron erschütternde Leidenswege ans Licht. Der skandalöse Umgang mit den Veteran*innen, die einst auch aus jugendlicher Naivität heraus die Uniform anzogen, lässt einen nicht nur an der US-Armee, sondern an den USA als Gemeinwesen zweifeln.

Doch es gibt auch Hoffnung: Joe Boots macht in seiner ganz eigenen Weise von Klarsicht deutlich, worauf es ankommt, um wieder in ein „ziviles“ Leben zurückzufinden. In ein Leben mit jenen Beschädigungen, für die es keine Tapferkeitsmedaillen gibt.

Info: „Stress“ (USA, Deutschland 2018), ein Film von Florian Baron, 83 Minuten

Im Kino

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