Kultur

Filmtipp „The Strait Guys“: Megaprojekt für Frieden am Ende der Welt

Ein Ingenieur mit Ende 70 kämpft für einen Tunnel zwischen Russland und den USA: Der Dokumentarfilm „Strait Guys“ erzählt von einer Vision, die angesichts der russischen Überfalls auf die Ukraine aktueller denn je ist.
von ohne Autor · 3. Juni 2022
Zwischen Hoffnung und Resignation: Tunnel-Visionär George Koumal unterwegs zur Beringstraße in Alaska
Zwischen Hoffnung und Resignation: Tunnel-Visionär George Koumal unterwegs zur Beringstraße in Alaska

Man könnte von einer pragmatischen Vision reden: Im hohen Norden der USA, von der Küste Alaskas, sind es gerade mal 85 Kilometer bis zum russischen Festland. Was gibt es Naheliegenderes als einen Eisenbahntunnel durch die Beringstraße (Bering Strait) zu bauen und Amerika und Asien miteinander zu verbinden? Und dadurch diese abgelegene Weltgegend an interkontinentale Verkehrswege anzudocken, auf dass sie endlich prosperiere?

Derartige Pläne, die die bis vor 9.000 Jahren existierende Landbrücke zwischen den beiden Kontinenten neu erschaffen würde, gab es in der Vergangenheit reichlich. Kriege, Konflikte oder fehlendes Interesse der Regierungen verhinderten eine Realisierung.

Er kämpft und kämpft

George Koumal war angetreten, um die Vision wahr werden zu lassen. Jahrelang kämpfte der US-Ingenieur für einen 100 Kilometer langen Eisenbahntunnel, allerdings vergeblich. „Strait Guys“ erzählt davon, wie er mit Ende 70 zu einem letzten Versuch ansetzt. Als ein langjähriger Fan des Projekts, der bestens vernetzte Bahnlogistikexperte Scott Spencer, mit ins Boot kommt, erhält die Sache neuen Schwung.

Gemeinsam reisen sie nach Alaska, um Politiker*innen und indigene Amerikaner*innen, deren Leben sich durch den Tunnel massiv ändern würde, von dem Projekt zu überzeugen. Der Trip führt bis nach Moskau, wo sie das fertig ausgearbeitete 100-Milliarden-Vorhaben in der Staatsduma vorstellen. Ihr Versprechen: Am Rand der Arktis könnte der Panamakanal des 21. Jahrhunderts entstehen.

Den Weltfrieden sichern

Die „Strait Guys“ sind überzeugt, dass es diesen längsten Eisenbahntunnel der Welt unbedingt braucht, um die USA und Russland sprichwörtlich einander näherzubringen und so den Weltfrieden zu sichern. Der Großteil der Dreharbeiten fand während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump statt. Jetzt, in Zeiten von Russlands Krieg gegen die Ukraine und wachsenden Spannungen zwischen Kreml und Weißem Haus, ist die politische Dimension des Tunnelplans umso bedeutsamer.

Neben anschaulich präsentierten technischen Details geht es immer auch um die menschliche Seite einer mitunter größenwahnsinnig anmutenden Lobbyarbeit. Ähnlich einem Roadmovie erzählt der Dokumentarfilm davon, wie sich die verheißungsvoll begonnene Beziehung zwischen Koumal und Spencer während der anstrengenden Reisen entwickelt. Beide sind grundverschieden. Der alt gewordene und wortkarge Tunnelingenieur ist zunehmend davon zermürbt, immer wieder mit leeren Händen dazustehen.

Die Zeit läuft ihm davon

Seine gesamte Altersvorsorge hat der Ende der 1960er-Jahre aus der CSSR in die USA emigrierte Tunnelbau-Ingenieur in seine Mission gesteckt. Ihm läuft die Zeit davon. Sein jüngerer Kompagnon setzt hingegen auf langfristige Strategien und beherrscht die PR-Klaviatur perfekt.

Eigentlich müsste man auch Regisseur Rick Minnich zu den „Strait Guys“ zählen. Im Off-Text gibt er zu, dass sich sein Einsatz für den Film nicht auf die Arbeit hinter der Kamera beschränkt habe. Seit Jahrzehnten ist der in Berlin lebende US-Amerikaner von der Tunnelidee fasziniert. Gräben überwinden und Brücken bauen: Dieser Gedanke prägt dieses und viele andere Werke des 1968 geborenen Filmemachers, der als Jugendlicher zutiefst vom Kalten Krieg geprägt wurde.

Regisseur und Aktivist zugleich

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Dokumentarfilmschaffende auch Aktivisten sind und es spricht für Minnich, wenn er dies offenlegt. Wohl aber malt er das Projekt mitunter in sehr euphorischen Farben. Zwar werden auch Probleme angesprochen: etwa die Tatsache, dass tausende Kilometer Schienen verlegt werden müssten, um den Tunnel am Ende der Welt mit dem Eisenbahnnetz zu verbinden. Auch werden die zurückhaltenden Reaktionen der Menschen an der Beringstraße eingefangen.

Die Grundidee aber, ein sensibles und wegen des Klimawandels ohnehin im Umbruch begriffenes Ökosystem mit einem Megaprojekt zu belasten, wird nicht infrage gestellt. Auch hätte man gerne mehr über das frühere Leben von George Koumal erfahren. Es würde wohl mühelos einen eigenen Film füllen.

Ein lohnender Film

Und doch lohnt sich dieser Film. Nicht nur, aber gerade wegen der Bilder von Menschen und Landschaften aus einem Teil der Welt, der sonst wenig Beachtung findet. Die Zeit wird zeigen, ob dort eines Tages ein neues Kapitel zwischen Moskau und Washington aufgeschlagen wird. „Strait Guys“ macht es einem leicht, die Ungeduld des unvollendeten Visionärs George Koumal zu teilen.

Info: „The Strait Guys“ (Deutschland, Kanada, Finnland 2022), ein Film von Rick Minnich, 99 Minuten
http://www.thestraitguys.com/
Im Kino

 

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