Kultur

Filmtipp „Sorry Genosse“: Wie ein Paar den Eisernen Vorhang überwand

Eine große Liebe und eine waghalsige Flucht: Aus Sicht von zwei jungen Menschen erzählt der Dokumentarfilm „Sorry Genosse“ von der Zeit des Kalten Krieges. Die Regisseurin hat aber auch eine Botschaft an die heutige Generation.
von ohne Autor · 10. Februar 2023
Filmtipp: "Sorry Genosse“ rekonstruiert ein abenteuerliches Unternehmen.
Filmtipp: "Sorry Genosse“ rekonstruiert ein abenteuerliches Unternehmen.

Ein Eiserner Vorhang geht durch Europa: Seitdem Russland immer aggressiver auftritt, ist dieser Zustand wieder vorstellbar geworden. Vor 50 Jahren war dies Realität. Und doch gab es Zeitgenoss*innen, sie sich damit nicht abgefunden haben.

Zum Beispiel Hedi und Karl-Heinz. Ende der 60er-Jahre lernen sich der angehende Student aus Westdeutschland und die junge Frau aus der DDR bei einer Familienfeier in Thüringen kennen. Aus einer Romanze wird Liebe. Die beiden träumen von einer gemeinsamen Zukunft. In der Hochphase des Ost-West-Konflikts ist daran nicht zu denken. Dennoch lassen sich die Verliebten nicht davon abbringen.

„Sorry Genosse“ führt uns den Willen, das Unmögliche zu wagen, weil allein dies Erfüllung verspricht, vor Augen. Und damit auch den Versuch, die Grenzen zwischen zwei verfeindeten Systemen in Ost und West zu überwinden. Am Ende geht es aber auch darum, diese Systeme zu überlisten.

Die Sehnsucht wächst

Hedi und Karl-Heinz lassen nichts unversucht, um einander nahe zu sein. Nach seinen Besuchen in der DDR wird die Sehnsucht immer größer. Der nunmehrige Uni-Student zieht in die „Zone“, wie es damals im westdeutschen Jargon hieß. Ein gemeinsames Leben in Jena, wo Hedi Medizin studiert, scheint zum Greifen nahe.
 
Doch die Stasi kommt einer dauerhaften Übersiedlung von Karl-Heinz in den SED-Staat in die Quere. Also wählen die beiden die einzig mögliche Alternative, nämlich Hedi in den Westen zu schmuggeln. Dafür schmieden sie einen abenteuerlichen Fluchtplan, der sie bis nach Rumänien führt.

In mehrfacher Hinsicht erfrischend

„Sorry Genosse“ ist in mehrerer Hinsicht erfrischend. Da wäre die besondere Weise, mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Vera Brückner anhand einer Liebesgeschichte einen bedrückenden zeithistorischen Kontext zum Leben erweckt. Die deutsche Teilung und das unmenschliche Grenzregime der DDR brachten viel Leid mit sich. All das schwingt in diesem Film mit. Im Fokus steht aber die Weltsicht eines Paares, das sich davon nicht das Träumen vermiesen lässt.
 
Davon zeugen Briefe, aus denen die beiden Protagonist*innen immer wieder zitieren. Sie bieten tiefe Einblicke in den Alltag eines Studierenden aus Frankfurt, der – politisiert durch den Vietnamkrieg – in linken Zirkeln unterwegs ist. Von Hedis Leben scheint all das weit weg zu sein.
 
Und doch finden sich immer wieder überraschende Gemeinsamkeiten, nicht zuletzt im Bereich der Jugend- und Protestkultur. Es ist die Weise der beiden, sich gegenüber dem als grau und konservativ empfundenen Mainstream in DDR und BRD abzugrenzen.

Im Plauderton durch die Vergangenheit

Im Gegensatz dazu strotzen die Erzählweise und Ästhetik dieses Abschlussfilms an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film vor Humor, Lockerheit und starken Farben. Im selbstironischen Plauderton lassen Karl-Heinz und Hedi – beide mittlerweile über 70 – ihre Geschichte chronologisch vom ersten Kennenlernen bis zur Flucht Revue passieren.
 
Ursprünglich war geplant, das Vergangene als Roadmovie entlang der Originalschauplätze in mehreren Ländern aufleben zu lassen. Die Corona-Pandemie machte das Konzept zunichte. Stattdessen wurden Gesprächssequenzen an von der Handlung losgelösten Schauplätzen gedreht. Einige Schlüsselmomente wurden szenisch nachgestellt. Und das mit einem äußerst farbenfrohen und spielerischen Szenenbild.
 
Diese Wesensmerkmale und die eindimensionale Zeitschiene sorgen dafür, dass sich dort, wo es gefragt wäre, nicht immer das nötige Maß an Spannung und Dynamik entwickelt. Über weite Strecken funktioniert die lockere Form für ein an sich ernstes Thema aber ziemlich gut.
 
Aus Sicht zweier Zeitzeug*innen, die sich die Brille eines jungen Paares aufsetzen, beleuchtet „Sorry Genosse“ die Ära der Ost-West-Konfrontation. Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, all jenen diese Zeit nahezubringen, die Mauer und Stacheldraht nur aus Geschichtsbüchern kennen. Und nicht nur das: Mit ihrem Film, der auf der Berlinale uraufgeführt wurde, möchte Vera Brückner (Jahrgang 1988) uns alle ermutigen, die bestehende Gesellschaftsordnung und damit auch scheinbar in Stein gemeißelte Grenzen immer wieder infragezustellen.
 
Info: „Sorry Genosse. Eine (fast) unglaubliche Liebesgeschichte“ (Deutschland 2021), ein Film von Vera Brückner, 94 Minuten.
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