Filmtipp „Raving Iran“: Der Tanz der Teufel
Wenn man sich vorstellen möchte, was es heißt, in einem autoritären System zu leben, lohnt der Blick auf vermeintlich unpolitische Lebensbereiche. Etwa elektronische Tanzmusik. In der westlichen Welt haben Techno, House und Elektro jegliche Subkultur-Attitüde verloren. Nicht so im Iran: Wer derlei Klänge in der Öffentlichkeit hört oder gar spielt, riskiert eine Gefängnisstrafe. Alles Teufelszeug, so die offizielle Linie.
Doch im Verborgenen ist fast alles möglich. Auch im Reich der Mullahs verlangt die Jugend nach Spaß, und zwar jenseits der engen moralischen Schranken, zumal in den Großstädten. So werden aus Hedonisten ungewollt Oppositionelle. Zwei davon sind Anoosh und Arash. Die Endzwanziger aus Teheran lieben House und legen auf illegalen Partys in der Wüste auf. „Alles, was wir machen, ist Underground“, sagt Arash. Beide träumen vom Durchbruch als Djs. Die Voraussetzungen könnten kaum ungünstiger sein: Der Überwachungsapparat des Regimes ist allgegenwärtig.
Die Protagonisten in „Raving Iran“ äußern sich nicht über Politik, doch das, was sie tun, ist unfreiwillig politisch. Und damit hochgefährlich. Diesen Grundkonflikt fängt die deutsche Regisseurin Susanna Regina Meures subtil ein. Zug um Zug wird klar, warum es für die beiden Freunde unmöglich wird, im Iran zu bleiben, ohne ihre Lebensträume aufzugeben. Wir werden Zeuge, wie sie einen letzten Rave in der Wüste durchziehen. Natürlich größtmöglich entfernt von jeglicher menschlicher Siedlung. Weil Kamelhirten beim Mal zuvor die Beats gehört hatten, endete das Ganze im Desaster.
Schleier griffbereit
Selbst in Momenten äußerster Ausgelassenheit haben die Frauen den Schleier griffbereit, schließlich könnte jederzeit die Sittenpolizei auftauchen. Meures ist dabei, als Anoosh und Arash im Kulturministerium vorsprechen, um eine Lizenz als Band zu bekommen. Es ist aussichtslos. Doch ohne das Schreiben will kaum jemand ihre CD-Cover und Plakate drucken oder ihre CD verkaufen. Als die Polizei eine Party auflöst und Anoosh erneut für eine Nacht im Knast landet, entschließt sich das Duo, den Gottesstaat zu verlassen. Einzig in Europa meinen sie, sich kreativ verwirklichen zu können. Als sie zum weltweit größten Techno-Festival in Zürich eingeladen werden, rückt der Traum in greifbare Nähe.
„Raving Iran“ ist ein intimer Augenzeugenbericht mit begrenztem Fokus und zugleich das Porträt eines repressiven Systems mit wenigen Schlupflöchern. Allein die Dreharbeiten klingen nach einem Thriller. Meures filmte meist verdeckt mit einer Fotokamera und einem Smartphone. Die Speicherkarten tauschte sie nach Drehschluss aus und transportierte das Filmmaterial im BH. Studenten schmuggelten für sie chiffrierte Festplatten ins Ausland.
So gelangen ihr Einblicke, etwa in Irans Bürokratie, die man so noch nie gesehen hat. Das Gespräch mit den Beamten im Kulturministerium wird zur Farce. Die mitunter verwackelten oder schlecht ausgeleuchteten Aufnahmen, etwa vom nächtlichen Teheran mit seinen Checkpoints, vermitteln ein ungefiltertes Ambiente unter konspirativen Umständen. Auch das macht den intensiven Sog dieses Films aus.
Absurder Alltag
„Raving Iran“ hat aber nicht nur bedrohliche Seiten. Dafür sorgen schon die Pointen, die Anoosh und Arash einander immer wieder zuspielen. Mag sich der Humor, der die große Vertrautheit zwischen den beiden belegt, auch aus den Absurditäten ihres Alltags und den emotionalen Krisen speisen, die die bevorstehende Reise in die Schweiz und ein möglicher Sprung in die Freiheit mit sich bringen. Bei aller Leichtigkeit, um die die zwei vor der Kamera bemüht sind, schleppen sie einige schwierige Fragen mit sich herum. Etwa: Was wird aus ihren Familien und Freunden, wenn sie nach Ablauf ihres Visums in der Schweiz bleiben? An ihrem letzten Tag in Zürich treffen sie eine Entscheidung fürs Leben.
Meures zeigt das Land, wie man es aus den Nachrichten nicht kennt. Der Film, der bereits auf mehreren Festivals lief und einen First Steps Award gewonnen hat, skizziert, wie viel Individualität in jenem Land möglich ist, das einst für sein kulturelles Facettenreichtum berühmt war und derzeit eine zaghafte Öffnung erlebt.
Info:
„Raving Iran“ (Schweiz 2016), ein Film von Susanna Regina Meures, OmU, 84 Minuten.
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