Kultur

Filmtipp „Push“: Stresstest für das Menschenrecht auf Wohnen

Dass bezahlbarer Wohnraum in Städten immer knapper wird, zählt zu den größten Herausforderungen dieser Zeit. Der Dokumentarfilm „Push“ zeigt, warum das nicht allein an der Gentrifizierung liegt.
von ohne Autor · 7. Juni 2019
„Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ (Schweden 2019), ein Film von Fredrik Gertten, mit Leilani Farha, Saskia Sassen, Joseph Stiglitz, Roberto Saviano u.a., OmU, 92 Minuten.
„Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ (Schweden 2019), ein Film von Fredrik Gertten, mit Leilani Farha, Saskia Sassen, Joseph Stiglitz, Roberto Saviano u.a., OmU, 92 Minuten.

„Es wäre schön, wenn Gentrifizierung unser einziges Problem wäre“, sagt Saskia Sassen in einer der Interviewsequenzen. Mit Blick auf zu Amüsiervierteln mutierte Quartiere in Berlin oder sonst wo klingt das wie eine Provokation. Doch für die US-Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin reichen die Ursachen der Wohnungsnot, insbesondere in den Metropolen, viel tiefer. Seit der Finanzkrise von 2008 werden Immobilien zunehmend von global operierenden Investmentgesellschaften wie Blackstone aufgekauft. Und für die geht es oftmals gar nicht (nur) darum, horrende Mieten von den Bewohnern hipper Kieze zu kassieren.

Meist ist es viel profitabler, Objekte jahrelang leerstehen zu lassen, um sie später weiterzuverkaufen. Gleichzeitig strömen der Jobs wegen immer mehr Menschen in die Großstädte. Zunehmende Spekulation bei steigender Nachfrage: Vielerorts haben die Kräfte des Marktes einen Teufelskreis in Gang gesetzt, dem die Regierungen bislang wenig entgegenzusetzen haben. Der Wert aller Immobilien weltweit beträgt mittlerweile 217 Billionen US-Dollar. Das entspricht dem 2,7-fachen des globale Bruttosozialproduktes.

Natürlicher Feind

Leilani Farha will sich mit diesen Zuständen in Toronto, London, Berlin, Seoul und weiteren Schauplätzen der Wohnungsnot, die der schwedische Dokumentarfilmer Fredrik Gertten mit ihr besucht hat, nicht abfinden. Die Kanadierin ist UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen und damit so etwas wie der natürliche Feind von Spekulanten und Vermietungsplattformen wie Airbnb.

Das Grundrecht auf Wohnen ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in Artikel elf des Sozialpaktes der Vereinten Nationen festgeschrieben. Doch was bringt es in der Realität? Um das zu ergründen, reist Farha um die Welt. Die Juristin versucht zu verstehen, wer aus der Stadt gedrängt wird und warum. „Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen Wohnraum als Ware und Gold als Ware“, sagt sie. „Gold ist kein Menschenrecht. Wohnen schon.“

Immer wieder trifft sie auf verunsicherte Menschen, die angesichts rücksichtsloser Konzerne, die ihre Wohnungen aufgekauft haben und nun maximalen Profit abschöpfen wollen, resignieren oder verzweifelte Protestaktionen starten. Überwiegend sind es Angehörige der Mittelklasse. Der Bewohner einer Hochhauswohnung in Toronto soll von einem Monat auf den anderen 900 Dollar mehr Miete zahlen. Das ist für ihn ebenso unmöglich wie die Herausforderung, eine andere und bezahlbare Wohnung vor Ort zu finden. Neun Monate nach dem Brand im Grenfell Tower in London hocken Überlebende noch immer in Notunterkünften, weil es für sie in oder um Großbritanniens Hauptstadt herum keine Bleibe gibt, die sie sich leisten können. Ein Cafébetreiber in Berlin-Kreuzberg, den manche als „Gentrifizierer“ sehen dürften, weiß nicht, wie er die Mietsteigerung von 600 Euro stemmen soll, ohne seine Kundschaft zu schröpfen.

Unsichtbares Monster

Oft hört Farha den Betroffenen einfach nur zu. Zuhause am Laptop, bei Konferenzen oder indem sie den Verantwortlichen auf die Finger klopft, kämpft sie darum, das Grundrecht auf Wohnen durchzusetzen. In ihrem Alltag wie auch im Film bleibt das „Monster“, das sie bezwingen will, meist unsichtbar. Was könnte dies stärker symbolisieren als die zahllosen unbewohnten Apartments? Zugleich hat das Ungetüm viele Gesichter. Zum Beispiel den eines, eigentlich auf das Menschenwohl bedachten, Pensionsfonds.
Gerttens engagierte Haltung gegenüber dem Thema ist allgegenwärtig. In Farha findet sie ihr deutlichstes Medium. Gleichzeitig führt die atmosphärisch dichte Erzählung behutsam in das Thema Verdrängung ein. Der Fokus gilt weniger abstrakten Zusammenhängen als konkreten Einzelfällen. Das macht das komplexe Thema sehr anschaulich. Allerdings wäre über die stetig wechselnde (Mikro-) Perspektive von Betroffenen und Experten hinaus mehr Substanz wünschenswert gewesen. Auch kommt die Sichtweise von Investoren oder politischen Akteuren, denen die Wahrung des besagten Menschenrechtes obliegt, zu kurz.

Dennoch schärft der Film das Bewusstsein für ein globales Problem, dessen künftige Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind. Und er stiftet Hoffnung. Farha hat mittlerweile das internationale Aktionsbündnis „The Shift“ gegründet. Die beteiligten Bürgermeister, Nichtregierungsorganisationen und Anwälte versuchen, die enthemmte Verwandlung von Wohnraum in Wirtschaftsgüter zu bekämpfen. „Push“ liefert dafür reichlich Munition.

 

Info: „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ (Schweden 2019), ein Film von Fredrik Gertten, mit Leilani Farha, Saskia Sassen, Joseph Stiglitz, Roberto Saviano u.a., OmU, 92 Minuten.

 

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