Kultur

Filmtipp „The Poetess“: Unsichtbarer Protest gegen die Islamisten

Vor einem Millionenpublikum attackierte sie Islamisten, Terroristen und das Patriarchat: Der Dokumentarfilm „The Poetess“ stellt die saudische Autorin Hissa Hilal vor. Sie nutzt die Poesie als Waffe gegen Unterdrückung und für eine gesellschaftliche Öffnung ihres Landes. Doch das ist gefährlich.
von ohne Autor · 1. Juni 2018
Hissa Hilal: Ein TV-Aufritt machte sie schlagartig berühmt.
Hissa Hilal: Ein TV-Aufritt machte sie schlagartig berühmt.

Manchmal führt der Respekt vor rigiden gesellschaftlichen Regeln zu unfreiwillig komischen Situationen. Als die saudische Autorin Hissa Hilal voll verschleiert vor die Jury einer Poeten-Castingshow tritt, hat sie Mühe, von ihrem Zettel abzulesen. Nachdem sie ihren Vortrag beendet hat, findet sie den Weg von der Bühne nur mithilfe der Juroren. In diesem Moment beschließt Hilal: Bei den nächsten Finalrunden trägt sie „nur“ Burka und Niqab. Dann bleiben wenigstens die Augen frei.

Interview mit Gesichtsschleier

Wenn Hissa Hilal diese Szene vor der Kamera erzählt, meint man hinter ihrem warmen Erzählton ein Lächeln zu erkennen. Es bleibt Spekulation, denn auch während der Interviewszenen in „The Poetess“ legt die Protagonistin ihren Gesichtsschleier nicht ab.

Vor acht Jahren war Hissa Hilal schlagartig berühmt geworden. Sie war die erste Frau, die in dem Show-Spektakel „Million`s Poet“ auftrat: ein von Männern aus nahezu sämtlichen arabischen Ländern dominierter Dichter-Wettbewerb, der sich mit „Voice of Germany“ vergleichen ließe und regelmäßig von 75 Millionen Menschen verfolgt wird.

Morddrohungen nach Lesung

Allein das war eine Sensation. Doch damit nicht genug. In der in Abu Dhabi produzierten Show wird vor schwülstiger Wüstenkulisse die Liebe zur Poesie beschworen. Doch Hilal nutzt das Podium, um mit ihren Versen gegen Islamisten, Terroristen und das Patriarchat zu wettern. Als sie ganz gezielt einen bestimmten ultrakonservativen islamischen Rechtsgelehrten auf‘s Korn nimmt, erhält sie nicht nur viel Zuspruch, sondern auch Morddrohungen.

Eines macht „The Poetess“ rasch klar: Hinter dem, was diese Lyrikerin und Journalistin tut, steckt enorme Sprengkraft. Ihr geht es nicht um schöne Worte, sondern um klare Kante, selbst wenn sie sich in dem Dokumentarfilm meist versöhnlich gibt. Die kämpferische Haltung überrascht gerade deswegen, weil Hilal sich streng konservativ kleidet und den gleichen Beschränkungen unterliegt wie alle anderen Geschlechtsgenossinnen in dem von fundamentalistischen Klerikern kontrollierten Königreich.

Für sie ist Glaube Privatsache

Bis vor kurzem durften Frauen kein Auto fahren und auch kaum allein vor die Tür. Aktivitäten außer Haus ohne das Okay von Mann oder Vormund? Nahezu unmöglich. Vor ihrem ersten Auftritt bei „Million`s Poet“ holte sie die Zustimmung ihrer Familie ein.

Hassprediger, die die Religion zur Kontrolle der Gesellschaft missbrauchen, ablehnen und trotzdem die von ihnen propagierten Vorschriften befolgen: Wie das zusammenpasst, wird anhand von Hilals Leben erzählt. Für die heute 50-jährige Ehefrau und Mutter ist Glaube Privatsache.

Poesie als Waffe

Ihr Weltbild leitet sie auch aus den Traditionen der Beduinen ab: eine für westliche Beobachter mitunter archaisch anmutende Sphäre, die den Frauen einst mehr Freiraum bot als viele vermuten würden. Doch nachdem bewaffnete Rebellen vor bald vier Jahrzehnten in der Großen Moschee von Mekka gewütet hatten und das Königshaus dem radikalen Klerus das Feld überließ, gingen auch in diesem Milieu die Uhren bald anders. Doch damit will sich Hilal nicht abfinden.

So wird ihre Poesie zur Waffe, um nicht zuletzt, so abgedroschen es auch klingen mag, ein freundliches Gesicht des Islam zu vermitteln. „Ich glaube, sie hat ein tiefes Selbstbewusstsein, dass das, was sie gemacht hat, das absolut Richtige ist, und das nicht zu tun sie als falsch empfindet“, sagt Regisseurin Stefanie Brockhaus in einem Interview mit dem Deutschlandfunk über ihre Heldin. „Das verwurzelt sie in der Beduinentradition, die hunderte, tausende Jahre alt ist, wo sich Frauen immer in Form von Gedichten zu gesellschaftlich schwierigen Themen geäußert haben und auch dafür gekämpft haben.“

Wie wird das Finale ausgehen?

Wie kann ein Dokumentarfilm seiner Hauptfigur nicht nur inhaltlich, sondern auch bei der Bildsprache nahekommen, wenn sie ihr Gesicht verbirgt? Die deutschen Filmemacher Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff drehten – nach jahrelangem Warten auf eine Genehmigung – ein langes Interview mit Hilal am Stück und setzten ihre Augen dabei geschickt in Szene. Immer wieder werden Ausschnitte aus dem Poeten-Spektakel eingeblendet, sodass die Spannung um die Frage steigt: Wie wird das Finale ausgehen?

Hilals Worte bilden zugleich den Kommentar für den Film, was bedeutet, dass dieser vor allem ihrer Perspektive folgt. Eine Perspektive, die für eine gesellschaftliche Öffnung wirbt, ohne den Anspruch auf kulturelle Eigenheiten aufzugeben.

Verhaftungswelle in Saudi-Arabien

Welche Folgen selbst diese moderate Haltung in der neuerdings um Öffnung bemühten Öl-Monarchie haben kann, zeigt die Verhaftungswelle von Aktivistinnen und Anwälten am Freitag vergangener Woche. Aus Sicherheitsgründen bleibt Hilal der gegenwärtigen Kinotour für den Film, dessen Weltpremiere sie beim Filmfestival von Locarno begleitet hatte, fern.

 

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