Kultur

Filmtipp „Oum Kulthum“: Ein neuer Blick auf die arabische Callas

Die innere Zerrissenheit in poetischen Bildern: „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ lässt die Karriere des 1975 verstorbenen arabischen Megastars Revue passieren. Ein berührender Blick auf den Spagat, den Frauen auf sich nehmen, die für ihre Kunst alles wagen.
von ohne Autor · 8. Juni 2018
Eigenwillig und vergöttert: Yasmin Raeis als ägyptische Sängerin Oum Kulthum.
Eigenwillig und vergöttert: Yasmin Raeis als ägyptische Sängerin Oum Kulthum.

Wenn jemand das Leben eines anderen Menschen erforscht, dann ist es so, als würde man ein Haus durchwandern und immer wieder die Tür zu einem anderen Zimmer öffnen. Zug um Zug erschließt sich eine neue Welt und niemand weiß, welche Gestalt sich am Ende ergibt. So ergeht es auch Mitra, der Protagonistin in Shirin Neshats neuem Film. Scheinbar im Traum erkundet die Filmregisseurin Treppen und Flure eines Palastes, stets der Hauptfigur ihres eigenen Films auf der Spur.

Plötzlich sind es zwei Oum Kulthums

Plötzlich steht sie nicht nur einer, sondern zwei Oum Kulthums gegenüber. Beide symbolisieren Mitras Herausforderung, in ihrem Film über Ägyptens berühmteste Sängerin aller Zeiten die öffentliche Figur und den tatsächlichen Menschen Oum Kulthum zusammenzubringen: also zwei Persönlichkeiten, die nur offenbar nur wenig miteinander zu tun haben.

Die öffentliche Figur Oum Kulthum ist vor allem im Nahen Osten bekannt. Ob in Kairo, Tel Aviv oder Teheran: Jeder kennt die durchdringende Stimme mit dem dunklen Timbre. Sie gehört einer Frau, die sich aus einem rückständigen ägyptischen Dorf bis in die High Society am Nil hochgearbeitet hatte. Auch dank ihres unerschrockenen Willens, sich in einer konservativen Männerwelt zu behaupten.

Vier Millionen folgten ihrem Sarg

Sie sang für den König und später für Machthaber Gamal Abdel Nasser. Auch wegen ihres Engagements für die Nation wurde sie als „vierte Pyramide Ägyptens“ bezeichnet. Anstatt sich wie die meisten anderen Frauen ihrer Generation auf Ehe und Familie festlegen zu lassen, verfolgte sie ihre Karriere um jeden Preis. Als sie 1975 starb, sollen fast vier Millionen Menschen ihrem Sarg durch Kairo gefolgt sein.

Von all dem wollte Shirin Neshat ursprünglich in einem klassischen Bio-Pic erzählen. Bis die iranische Filmemacherin merkte, dass sie Oum Kulthum mit dieser von der Bewunderung für eine selbstbewusste Diva erfüllten Perspektive kaum nahekommen würde. Sie entschied sich, einen Film darüber zu machen, wie schwierig es ist, sich einer verklärten Person der Zeitgeschichte zu nähern.

Ein Film im Film

So kam es zu der Idee, der prominenten die „unbekannte“ Oum Kulthum an die Seite und eine fiktive Regisseurin in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. Und nicht nur das. „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ macht deutlich, welche Opfer die „arabische Maria Callas“ bringen musste, um dorthin zu kommen, wo sie sich am Ende komfortabel einrichtete.

Dieser auch an Entsagungen reiche Weg hat, wie Mitras Wandlungen und Krisen während der Arbeit an ihrer eigenen Produktion, also am Film im Film, zeigen, auch viel mit Shirin Neshats Protagonistin zu tun. Ähnlich wie Oum Kulthum hat sie bislang alles der Karriere untergeordnet und viel dafür in Kauf genommen: Ihr im Iran zurückgelassener Sohn hasst sie, die Ehe ist im Eimer und an eine Rückkehr in die Heimat nicht zu denken. Am Set muss sie sich mit ignoranten Machos herumschlagen und ihre Hauptdarstellerin macht ihr zunehmend klar, wie einseitig ihr ikonenhaftes Bild von Oum Kulthum ist.

Existenzielle Krise beim Kampf um Anerkennung

Als Mitra unter dieser Last zusammenbricht, setzt sie alles auf einen Neuanfang, auch bei ihrem Film über Ägyptens Superstar. Spätestens jetzt wird deutlich, wie viel Oum Kulthums Kampf um Anerkennung mit ihrem eigenen Leben zu tun hat.

Und das wiederum gilt auch für Shirin Neshat. Ihr Film erzählt davon, was es für Frauen noch immer bedeutet, kreative Selbstverwirklichung und Familie unter einen Hut zu bekommen, nicht nur in patriarchalischen Systemen. Die im Iran aufgewachsene und später in die USA emigrierte Künstlerin verarbeitet in ihrer neuesten Produktion auch eigene Erfahrungen der Zerrissenheit, wie die Mutter eines Sohnes in einem Interview gesagt hat.

Bis ins Kleinste durchkomponiert

So offenbaren sich Gegensätze und Nöte aus drei weiblichen Existenzen zu einer atmosphärischen Erzählung, deren Szenen bis ins kleinste Detail wie ein Gemälde durchkomponiert sind. Mitunter hat man allerdings den Eindruck, Shirin Neshat könnte sich übernommen haben, auch weil man Oum Kulthum nach 90 Minuten nicht wirklich nähergekommen ist und das Ganze eher wie eine Nabelschau wirkt. Und doch berührt der Versuch, gesellschaftliche Mechanismen und persönliche Krisen aus dreierlei Perspektive zu betrachten, an vielen Stellen zutiefst.

Info: „Auf der Suche nach Oum Kulthum“(Deutschland, Österreich, Italien, Marokko 2017) ein Film von Shirin Neshat in Zusammenarbeit mit Shoja Azari, mit Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh, Kais Nashif u.a., OmU, 90 Minuten

Ab sofort im Kino

 

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