Kultur

Filmtipp „The North Drift“: So bedroht Müll aus Deutschland die Arktis

Abfall kennt keine Grenzen: Der Dokumentarfilm „The North Drift“ zeigt, wie Müll aus Industrienationen eine einzigartige Landschaft im hohen Norden gefährdet. Ein ungewöhnliches Experiment offenbart ein globales Problem.
von ohne Autor · 21. Oktober 2022
Die Idylle täuscht: Müllsammler*innen haben auf den Lofoten gut zu tun.
Die Idylle täuscht: Müllsammler*innen haben auf den Lofoten gut zu tun.

Kann eine Bierflasche von Dresden bis zum Polarmeer im Wasser treiben? Dieser Frage geht der Filmemacher Steffen Krones in „The North Drift“ nach. Sein damit verbundenes Experiment beruht auf einer bedrückenden Erfahrung auf den Lofoten in Norwegen.

Das Naturparadies im hohen Norden vermüllt zunehmend. Abfälle werden von der Meeresströmung dorthin getragen und landen am Strand oder schlummern unter der Wasseroberfläche. Dort zersetzt sich Plastikmüll langsam zu Mikroplastik. Der schwimmende Müllberg im Nordmeer wird von Jahr zu Jahr größer. Die Folgen für die Meerestiere sind kaum abzuschätzen. Klar ist hingegen: Am Ende landen die schädlichen Partikel auch im menschlichen Körper.

Müll von der Elbe ins Nordmeer

Der chronologisch erzählte Film beginnt mit dem Ausgangspunkt für Krones' Mission. Mit einem auf den Lofoten beheimateten Freund säubert der Dresdner Ufer und Gewässer der Inselgruppe von den Abfällen – eine Sisyphosarbeit. Aber auch der Beginn eines Erkenntnisprozesses, der in eine Aktion mündet, die immer weitere Kreise ziehen wird.

Eine Bierflasche deutscher Herkunft bringt Krones ins Grübeln: Ist es möglich, dass sie von Deutschland aus auf einer gut 2.500 Kilometer langen Strecke durch Flüsse und Meere bis dorthin gelangt ist? Oder hat sie nur ein Tourist auf den Lofoten entsorgt? Daheim in Sachsen startet er einen ungewöhnlichen Versuch. Und das Kinopublikum ist bei jeder Etappe des Langzeitprojektes mit dabei. Auf der Elbe schickt Krones kleine Bojen in der Größe und mit dem Gewicht einer Bierflasche Richtung Nordsee. Über deren GPS-Daten verfolgte er ihre Route. Werden sie eines Tages tatsächlich die Lofoten erreichen?

Es kommt auf Jede und Jeden an

„The North Drift“ zeigt, wie der Regisseur die Bojen auf ihrer Reise begleitet. Und wie ihm dabei zunehmend klar wird, dass wir alle Teil des gleichen Kreislaufs sind. Das liegt auch daran, dass das von einigen Rückschlägen begleitete Langzeitprojekt mit der Zeit immer größer wird: Meeresforscher*innen unterstützen das Vorhaben und liefern den wissenschaftlichen Überbau. Von diesem Input profitieren auch die Zuschauer*innen. Zunehmend formt sich der Gedanke, dass es auf jede und jeden Einzelnen von uns ankommt, ein ökologisches Desaster in der sensiblen Arktis zu verhindern.

Meist belässt es Krones bei Fakten zum Zustand der Meereswelt, um diese Botschaft zu transportieren und den Call-to-Action-Ansatz seines Filmes – also die Aufforderung, selbst aktiv zu werden – zu unterstreichen. Wiederholt ist die Kamera aber auch dabei, wenn Vertreter*innen von zivilgesellschaftlichen Initiativen tatkräftig gegen den Müll im und am Wasser vorgehen.

Wie ein Erfahrungsbericht

Im Zuge der mehrjährigen, auch durch Corona ausgebremsten Arbeit an Experiment und Film ist Krones selbst zum Aktivisten geworden, ohne dass „The North Drift“ davon übermäßig überlagert wird. Gleichwohl ist die Erzählweise sehr persönlich und entspricht einem Erfahrungsbericht: Aus nächster Nähe verfolgen wir, wie sich der Filmemacher gleichzeitig in ein Umwelt- und ein Filmprojekt stürzt, dabei immer tiefer in die Materie eindringt und so einen anderen Blick auf die Welt entwickelt.

Zu Beginn hat er uns kein wesentliches Wissen voraus, entsprechend offen gestaltet sich der Erkenntnis- und Bewusstseinsstrom der Erzählung. Wissenschaftliche Details werden wohldosiert platziert und häufig in Bilder übersetzt. Aber auch die Berichte des Kompagnons auf den Lofoten machen das große Ganze immer wieder konkret. Stetig pendelt der Film zwischen dem Geschehen in Nordnorwegen und in der Bundesrepublik und dem jeweiligen Blick auf die Dinge.

Beunruhigend und unterhaltsam

Stets ist das Anliegen zu erkennen, das Thema anschaulich zu machen und womöglich Bilder für sich sprechen zu lassen. An dem stimmigen Mix aus Wissensvermittlung, Emotion und Atmosphäre und den mitunter stakkatoartigen und bisweilen überraschenden (oder auch verwirrenden) Szenenwechseln erkennt man Krones‘ Handschrift als erfahrener Produzent von Kurz- und Werbefilmen.

„The North Drift“ gelingt es, ein beunruhigendes Thema unterhaltsam und humorvoll aufzuarbeiten und einen oder eine gerade dadurch zum Nachdenken zu animieren. Nicht zuletzt die intensiven Eindrücke von dem facettenreichen Zauber der Lofoten machen unmissverständlich klar: Dort oben im Norden gibt es etwas, das unbedingt erhalten werden muss. Klar wird aber auch: Die Inselgruppe ist nur einer von vielen globalen Müll-Hotspots am Wasser.

Info:
„The North Drift“ (Deutschland 2022), ein Film von Steffen Krones, mit Steffen Krones u.a., 92 Minuten.
https://www.ravir.de/work/the-north-drift
Kinostart: 27. Oktober

 

 

www.thenorthdrift.com

0 Kommentare
Noch keine Kommentare