Filmtipp „Nicht dein Mädchen“: Schmutzige Geschäfte mit Kindern
Für „Nicht dein Mädchen“ hat sich Regisseurin und Drehbuchautorin Isabella Sandri dieser Herausforderung gestellt. Und das über weite Strecken mit Erfolg. Ihr Film erzählt von zwei Menschen, deren Beziehung zueinander zunächst ganz harmlos wirkt. Tatsächlich aber ist sie fatal. Die Geschichte beginnt mit der Entführung eines Mädchens durch einen Pädophilen und endet in einem internationalen Kinderporno-Netzwerk. Das ganze Drama offenbart sich nach und nach. Wie die Ermittler*innen müssen auch die Zuschauenden Element für Element zusammensetzen. Das ist durchaus mühsam. Doch irgendwann gibt es kein Halten mehr.
Man oder frau könnte Magdalena und Richi für Tochter und Vater halten. Oder für Nichte und Onkel. Die Elfjährige und den 30-Jährigen. Wie sie mit dem Wohnmobil durch den Schwarzwald knattern und im einsamen Grün Indianer spielen. Doch nach wenigen Momenten wird deutlich, dass etwas nicht stimmt. Warum klammert sich dieser Mann im Gasthof unter aller Augen so verzweifelt an das Kind? Warum übt er immer wieder psychologischen Druck auf Magdalena aus? Das unbeschwerte Miteinander ist nur Fassade. Spätestens, als Richie zur Kamera greift und sich an den Laptop klemmt, wird die „düstere“ Seite des Italieners deutlich.
Undercover-Recherchen im Darknet
Durch seine Online-Kontakte zu anderen Pädophilen, die er mit Bildern und Videos versorgt, gerät Richi ins Visier der italienischen Polizei. Seit sechs Jahren wird Magdalena vermisst. Bei Undercover-Recherchen im Darknet entdeckt Ermittlerin Milia Demetz Aufnahmen des aus Südtirol stammenden Kindes. So kommt der Fall wieder ins Rollen. Gleichzeitig zeigt sich immer beklemmender, mit welchen Leuten Richi Geschäfte macht. Die Abgründe werden tiefer und tiefer.
„Nicht dein Mädchen“ startete in dieser Woche zum Tag der vermissten Kinder im Online-Kino von w-film. Mit solidarischer Kino-Beteiligung, wie der Verleih wissen lässt. Es geht darum, ein breites Publikum für das Thema Missbrauch zu sensibilisieren. Und zu unterstreichen, dass es wichtig ist, genau hinzuschauen. Schließlich ist es so: Dass jemand hinschaut, gibt dem Film eine entscheidende Wendung.
Ob Waisen in Afghanistan oder junge Kinderarbeiter*innen in Mexiko: Seit langer Zeit beschäftigt sich Isabella Sandri in ihren Filmen mit dramatischen Kinderschicksalen. Für „Nicht dein Mädchen“ recherchierte die Italienerin jahrelang bei einer auf Online-Kriminalität spezialisierten Einheit der Polizei von Rom. Dass die 64-Jährige diesen Boden aus Wissen und Erfahrung sehr behutsam zur Geltung bringt, anstatt uns brutalstmöglich damit zu konfrontieren, spricht für den auf mehreren Festivals gezeigten Film.
Manche Szenen sind eine Zumutung
Ebenso subtil erzählt sie von Magdalena und Richi. Beide Figuren werden in all ihrer Komplexität skizziert, wenngleich die kriminelle Energie des Entführers niemals aus dem Blick gerät. Und doch, bei aller Feinfühligkeit: Immer wieder gibt es Momente, die dem Publikum viel zumuten.
Erträglich wird das Ganze erst im Wechsel der Perspektiven. Der Film widmet sich ausführlich auch den Ermittler*innen. Was macht es mit ihnen, sich einsam an den Bildschirmen Tag für Tag durch abstoßende Fotos zu klicken? Wir erleben Milia Demetz als Suchende und Leidende. Ihr Ermittlerinnendrang wird zur Obsession. Mit sparsamen, aber sehr wirkungsvollen Mitteln bringt uns die rumänische Schauspielerin Cosmina Stratan, die für ihre Leistung „Jenseits der Hügel“ in Cannes ausgezeichnet wurde, diesen Charakter sehr nahe.
Das gilt insbesondere auch für die Debütantin Anna Malfatti (Magdalena) und Moisé Curia (Richi). Und das erst recht vor dem Hintergrund einer ebenso zurückgenommenen und oftmals unterkühlten, zugleich aber auch epischen Bildsprache, die manche Schwächen der Handlung überdeckt.
Eine Gratwanderung
Dass der Film auch als „Außenseiterballade“ (so die Bezeichnung des Verleihs) angelegt ist, verleiht dem Thema Pädophilie eine zusätzliche Erzählebene. Einigen Zuschauer*innen dürfte dies den Zugang erleichtern. Das darf ein letztendlich fiktionaler Film durchaus. Und doch offenbart sich gerade hierin die Gratwanderung, sich dieses leider sehr realen Themas zu widmen, zumal, wenn damit der oben genannte Appell verknüpft wird. Es mag kindische Freaks wie Richi geben, die mit ihren jungen Opfern im Wohnmobil herumreisen. Doch tatsächlich vollzieht sich Pädophilie meist in einem weitaus „alltäglicheren“ Rahmen.
Info: „Nicht dein Mädchen“ („Un confine incerto“, Italien/Deutschland 2019), ein Film von Isabella Sandri, Kamera: Duccio Cimatti, mit Anna Malfatti, Moisé Curia, Cosmina Stratan, Heio von Stetten, Valeria Golino u.a., 118 Minuten.
https://www.wfilm.de/nicht-dein-maedchen/