Filmtipp „Naomis Reise“: Rassismus im deutschen Gerichtssaal
Auch Liebe und Sex folgen heutzutage globalisierten Strukturen, wenn auch häufig unter Bedingungen, die an koloniale Zeiten erinnern. Zum Beispiel, wenn weiße europäische Männer in Asien oder Südamerika auf Partnerinnensuche gehen, dabei aber alles andere als eine Beziehung auf Augenhöhe im Sinn haben. Man kann sich kaum ausmalen, wie viele Geschichten von zerstörten Hoffnungen und geplatzten Träumen aufseiten dieser Frauen bereits geschrieben wurden oder sich schreiben ließen.
Es begann mit einer Liebe
Manchmal enden solche Geschichten als reiner Albtraum. So wie in Frieder Schlaichs Drama, das auf einer wahren Begebenheit beruht. Eine junge Frau aus Peru reist zu ihrem Bräutigam nach Deutschland und gründet eine Familie. Ein paar Jahre später kommt sie gewaltsam ums Leben. Angeklagt ist ihr Gatte, der sich bereits von ihr getrennt hatte. Ihre Mutter und Schwester machen sich auf den Weg nach Berlin, um den Prozess im Rahmen der Nebenklage zu begleiten. Dabei werden sie nicht nur mit den brutalen Details des Todes eines geliebten Menschen konfrontiert. Beiden wird deutlich, wie wenig sie von Mariella und ihrem neuen Leben wussten.
Vor allem aber sehen sie sich einem nicht gerade übersensiblen Justizapparat gegenüber, der versucht, das Ganze im Kontext einer Beziehungstat „lediglich“ als Totschlag zu betrachten, während die Nebenklage bestrebt ist, die niederen Beweggründe einer mutmaßlich rassistischen Einstellung des Beschuldigten nachzuweisen, um ihn wegen Mordes dranzukriegen.
Weiße Richter, weiße Täter, milde Urteile?
Der Kampf der Südamerikanerinnen und ihrer Anwältin für eine in ihren Augen gerechte Bestrafung von Mariellas vermeintlichen Traumprinzen ist der eigentliche Aufhänger für diesen Film. Die Drehbuchautorin Claudia Schaefer nahm den Tod einer Kolumbianerin zum Anlass, sich anzuschauen, wie die deutsche Justiz mit Gewaltverbrechen an nichteuropäischen Frauen umgeht. Nachdem sie mehrere Verhandlungen verfolgt hatte, kam sie zu dem Schluss, dass weiße, bürgerliche Richter weiße, bürgerliche Männer vergleichsweise milde behandelten.
Das lässt sich empirisch schwer überprüfen. Doch genau diesem Muster - man kann darin eher eine politische Anklage als ein geschlossenes ästhetisches Konzept sehen - folgt „Naomis Reise“. Mal mehr, mal weniger subtil. Zunächst versteckt sich der Richter hinter seinem bürokratischen Habitus, doch mit der Zeit merkt man, dass er die Verhandlung alles andere als unvoreingenommen führt. Unvoreingenommen lassen sich zudem Angeklagter, Verteidiger und Vorsitzender Richter kaum betrachten, so deutlich spiegelt ihr äußerer Eindruck die Erwartungen des Zuschauers an ihre nicht eben sympathische Rolle wider. Schade, dass diese ansonsten so ums Dokumentarische bemühte Erzählung hierbei dermaßen klischeehaft geraten ist.
Große Hoffnungen und ein ausgelöschtes Leben
Das Plädoyer der Anklage fällt im ersten Moment überraschend aus, passt aber ins Bild. Doch auch außerhalb der einschüchternden Mauern des Landgerichts Berlin spielen sich einige Schlüsselszenen ab. Etwa, wenn Naomi durch die frühere Wohnung der Schwester streift und so immer tiefer in ihr nun ausgelöschtes Leben eintaucht. Fernweh und der Traum von einer Zukunft jenseits des Obststandes und der ärmlichen Behausung der Familie in Lima: All das, was ihre große Schwester über den Atlantik trieb, ist auch dieser 20-Jährigen vertraut. Indem Naomi, oftmals ungläubig staunend, das erforscht, was von Mariella geblieben ist, stellt sie Weichen für ihr eigenes Leben. Ist für sie eine Zukunft in dem ehedem verhassten Deutschland, das ihr die Schwester geraubt hat, möglich?
Der Weg, den Naomi für sich entdeckt hat und nun zu beschreiten beginnt, ist oftmals schmerzhaft, auch für den Zuschauer. Die bürokratische Kälte vor Gericht lässt einen schaudern. Sämtliche Richter und Anwälte wurden übrigens von echten Juristen gespielt. Das verstärkt mitunter manch einen hölzernen Moment in diesem ohnehin sehr zurückgenommen inszenierten bemühte Drama, das für die ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ produziert wurde und im Herbst 2017 im Kino lief. Was von dieser fragmentarischen Geschichte bleibt, ist vor allem das, was nicht ausgesprochen wird. Will heißen: Nicht nur Naomi und ihre Mutter, sondern auch die Zuschauer fragen sich, wie es mit der Menschlichkeit in Deutschlands Justiz bestellt ist.
Wer mehr zu den Hintergründen wissen möchte: Das Booklet der DVD enthält Interviews mit Frieder Schlaich und Claudia Schaefer.
Info: „Naomis Reise“ (Deutschland/Peru 2017), Regie: Frieder Schlaich, Drehbuch: Claudia Schaefer, mit Scarlett Jaimes, Liliana Paula Trujillo Turin u.a., Sprachen: Spanisch (OmU)/Deutsch, 90 Minuten