Filmtipp „Morgen wird es schöner sein“: China jenseits der Propaganda
Dass irgendwann alles (noch) besser und (noch) schöner wird, zählt zu den Grundbedingungen jeglichen Fortschrittsglaubens, erst recht in Diktaturen wie China. In dem chinesischen Dorf Gulu, dem zentralen Schauplatz von „Morgen wird es schöner sein“, hat der Fortschritt lange auf sich warten lassen. In vielerlei Hinsicht tut er es bis in die Gegenwart dieses Films. 2014 wurde die sich über mehrere Jahre erstreckende Produktion abgeschlossen.
Nach Vorführungen auf internationalen Festivals erlebt der Dokumentarfilm über eine Dorfschule in exponierter Lage nun hierzulande seinen Start im Online-Kino. Endlich, muss man oder frau sagen: Viel zu selten erhalten wir solche intensiven Eindrücke aus dem Reich der Mitte. Zumal aus einer Welt, die sehr wenig mit dem harmonischen und hypermodernen Bild zu tun hat, das die Propaganda gemeinhin von der Volksrepublik malt.
Imposante Szenerie
Fortschritt kann bedeuten, dass sich Tradition und Moderne aneinander reiben. Das kann sehr produktiv, aber auch sehr konfliktreich sein. So auch in diesem Film über ein abgelegenes Bergdorf mit 60 Haushalten und einer Schule. Im Rest Chinas wird Letztere die „Die Schule am Himmelsrand“ genannt. Das hat mit der Örtlichkeit zu tun: Wenn es regnet, verschwinden die schmucklosen Bauernhäuser mitsamt Schulgebäude zwischen den Wolken. An klaren Tagen ist die Szenerie nicht minder imposant. Vom Schulhof geht der Blick runter ins enge Flusstal, hinter dem sich ein Gebirgsmassiv erhebt. Wer diese Welt betreten will, nimmt den Maultierpfad.
In dieser nicht nur höhenmäßig entrückten Sphäre in der südlichen Provinz Sichuan hielt Lehrer Shen Qijun mehr als zwei Jahrzehnte lang den Schulbetrieb allein am Laufen. Während die Alten sich bei traditionellen Ritualen mit dem Schamanen versammelten, versuchte Shen, den Kindern den Weg in die Zukunft zu weisen. Wohl wissend, dass das Dorf dadurch seine Jugend nach und nach an das Tal verliert.
Womit er nicht gerechnet hat: Irgendwann nach dem großen Erdbeben von 2008 erreichen immer mehr Neugierige, aber auch Spenden seine Dorfschule. Sogar Filmstar Jackie Chan zählt zu den Gönnern. Längst hatte die Geschichte von Shens One-Man-Show auf verlorenem Posten im Rest des Landes die Runde gemacht. Einige der Besucher*innen bleiben, um Shen als Freiwillige zu unterstützen. Neue Menschen und neue Ideen: Damit beginnt ein Prozess, der Shens Lebenswerk und das dörfliche Zusammenleben – zumindest aus Sicht des selbstbewussten Hilfslehrers – in größte Gefahr bringt.
Verschlungene Pfade des Fortschritts
„Morgen wird es schöner“ erzählt von den verschlungenen Pfaden, die Utopien und Fortschrittsglaube manchmal nehmen. Eigentlich waren Bao Tangtao und die anderen Uni-Absolvent*innen aus der Stadt nach Gulu gekommen, um sich der imposanten Natur und dem kargen Bauernleben, im Sinne einer Entsagung von ihrem bisherigen Alltag, völlig hinzugeben. Doch seine „kleine Utopie“ entwickelt eine ganz eigene Dynamik. Bao streitet mit Shen um den richtigen Weg für die Schule. Und das ist nur eine Facette eines Konflikts, der immer weiter ausartet, zur Lagerbildung in der ländlichen Gemeinschaft führt und auch die örtlichen Parteikader und Behörden erfasst.
Reich an Windungen und starken Kontrasten ist auch die Erzählstruktur. In Ermangelung eines Off-Kommentars sind wir auf die Aussagen der beiden Kontrahenten und vieler anderer Auftretender angewiesen. Das ist mitunter anstrengend. Wer durchhält, wird mit einer fast schon epischen Handlung belohnt, die sich aus all dem ergibt.
Realistisch und poetisch
Mehr als nur atmosphärische Akzente setzen auch die regelmäßig eingestreuten Motive der Gebirgsszenerie. Sie vergegenwärtigen den geistigen und kulturellen Hintergrund, vor dem sich dieses Drama um den „richtigen Pfad“ in die Zukunft abspielt. Mögen manche Situationen und Dialoge auch verwirrend sein: Die Naturbilder verleihen dem Ganzen einen besonderen Rhythmus und eine Klarheit, die unsere Wahrnehmung dabei unterstützt, manch Rätselhaftes im Kleinen zu sortieren und in einem anderen Licht zu sehen. Auf ebenso realistische wie poetische Weise wird deutlich, welche Mühen und welcher Preis damit verbunden sind, in ein (vermeintlich) besseres Morgen aufzubrechen.
Info: „Morgen wird es schöner sein“ (China 2014), ein Film von Xu Hongjie, 102 Minuten, OmU.
Im Online-Kino:
https://www.wfilm.de/morgen-wird-es-schoener-sein/film-dvd-bluray-vod/
Als Video on Demand