Kultur

Filmtipp „A Man Of Integrity“: Vom richtigen Leben im Falschen

Ein aufrechter Fischzüchter gegen eine skrupellose Clique: Das iranische Drama „A Man Of Integrity“ dreht sich um die Frage, ob ein moralisches Leben in einer Welt der Unmoral möglich ist.
von ohne Autor · 3. Mai 2019
Die Zukunft von Reza (Reza Akhlaghirad) und Hadis (Soudabeh Beizaee) verdunkelt sich.
Die Zukunft von Reza (Reza Akhlaghirad) und Hadis (Soudabeh Beizaee) verdunkelt sich.

Man kann nur ahnen, wie lange schon Reza mit den Mächtigen seiner Gegend im Clinch liegt. Bereits die erste Szene offenbart, wie sehr er auf der Hut ist. Ein knatterndes Moped? Ein bellender Hund? Unerwartete Geräusche verheißen niemals Gutes. So ist es auch diesmal. Zwei Männer, angeblich geschickt von „der Moschee“, durchsuchen einfach so das Haus des Betreibers einer kleinen Fischfarm. Es ist sicherlich nicht die erste und schon gar nicht die letzte Demütigung, die Reza erfährt. Und mit jedem Mal wächst seine Anspannung.

Vor ein paar Jahren war er mit Frau und Sohn aus Teheran in den abgeschiedenen Norden Irans gekommen, um sich weitab vom moralischen Sumpf der Hauptstadt ein neues, wenn nicht gar beschauliches Leben aufzubauen. Doch das erweist sich als Utopie. Ein lokaler Unternehmer hat einen mafiösen Ring aus ihm ergebenen Vasallen aufgebaut, der bis in Verwaltung und Polizei hineinreicht. Und dieser Provinzkönig ist scharf auf Rezas Land. Doch der sture Fremdling denkt nicht daran, sich zu fügen und zu verkaufen. Er sucht die Konfrontation.

Wie hoch ist der Preis?

Dabei ist seine Ausgangsposition denkbar ungünstig. Allein die Kreditschulden, die er einst für den Aufbau seines Fischgewerbes aufgenommen hat, sind eine große Belastung. Doch lieber trennt sich Reza vom Zweitwagen, anstatt sich auf einen faulen Deal mit der Bank einzulassen. Ständig steht er vor der Frage: Kann man in einem von Korruption und Gewalt durchsetzten System anständig bleiben? Und wie hoch ist der Preis dafür? Oder frei nach Theodor W. Adorno: Gibt es ein richtiges Leben im Falschen?

Lange Zeit hat der Familienvater versucht, seine Integrität zu wahren, indem er sich aus allem raus- und von den Nachbarn fernhält. Doch als eines Tages seine Fische tot im Teich treiben, weiß er, dass er sich längst mitten im Krieg befindet. Zunächst kann seine Frau, die als Leiterin der Dorfschule über einen gewissen Einfluss verfügt, Schlimmeres verhindern, indem sie Reza aus dem Knast holt. Doch der steuert nach weiteren Eskalationsstufen unaufhaltsam auf einen Rachefeldzug zu. Doch dieser nimmt eine unerwartete Wendung: Die Frage nach der persönlichen Integrität stellt sich am Ende dringlicher als jemals zuvor.

Korruption, Rechtlosigkeit und Brutalität: Der iranische Mohammad Rasoulof zeichnet in seinem Film ein düsteres, von Misstrauen als Grundinstinkt geprägtes Bild von seiner Heimat. Durch den Fokus auf die Frage nach der moralischen Standhaftigkeit in einer unmoralischen Welt wird die Handlung hingegen vom Kontext Iran gelöst. Mitunter fühlt man sich einen Western erinnert, in dem ein ebenso aufrechter wie einsamer Cowboy gegen einen übermächtigen Großgrundbesitzer kämpft. So viel darf gesagt sein: Dem Klischee eines Edelmütigen entspricht Reza nicht. Wohl aber fühlt er sich seiner Umgebung moralisch überlegen. Dieser Umstand entfaltet in ihm eine ganz besondere Dynamik mit überraschenden Folgen. Gerade davon lebt die immer wieder Atemlosigkeit hinterlassende Spannung dieses Filmes, der mit seinen oftmals statischen Einstellungen gar nicht erst versucht, das Landleben als Idylle darzustellen.

Fragwürdiges System

All das hat in der Gesamtschau natürlich sehr viel mit iranischer Realität zu tun. Vor allem aber mit den Existenznöten des Regisseurs. Auch der 1972 geborene Mohammad Rasoulof kämpft um seine Selbstbehauptung, als Mensch wie als Künstler. 2017 wurde „A Man Of Integrity“ in Cannes ausgezeichnet, doch in der Islamischen Republik wird der Film nicht gezeigt. Den Zensoren missfiel die finale Schnittfassung. Kein Wunder bei all den – wenn auch subtil eingeflochtenen – Verweisen auf mehr als fragwürdige Ausprägungen eines Systems, wo die Macht letztlich auch den Glauben korrumpiert.

Seit seiner Rückkehr aus Cannes darf Rasoulof, der mit seiner Familie zeitweise in Hamburg lebte, den Iran nicht verlassen. 2010 wurde er während eines gemeinsamen Drehs mit dem Regisseur Jafar Panahi verhaftet. Beide hatten an einer Dokumentation über die Proteste nach der iranischen Präsidentschaftswahl 2009 gearbeitet. Seitdem führt Rasoulof ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden, wobei er ab 2013, nach dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani, zunächst von einer gewissen Liberalisierung der politischen Verhältnisse profitierte. Wie auch Reza arbeitet sich Rasoulof an einem mächtigen Gegner ab. Und auch seine Wut wächst.

Info: „A Man Of Integrity – Kampf um die Würde“ („Lerd“, Iran 2017), ein Film von Mohammad Rasoulof, mit Reza Akhlaghirad, Soudabeh Beizaee u.a., OmU, 117 Minuten

Ab sofort im Kino

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