Kultur

Filmtipp „Maixabel“: Terrorismus ist heilbar – und Versöhnung möglich

Ein Mörder schüttet der Witwe des Opfers sein Herz aus: Das bewegende Kinodrama „Maixabel“ erzählt eine unglaubliche, aber wahre Geschichte über Gewalt und Aussöhnung im Baskenland.
von ohne Autor · 25. Mai 2022
Auf grausame Weise miteinander verbunden: Ex-Terrorist Ibon Etxezarreta (Luis Tosar) und die Witwe und Politaktivistin Maixabel Lasa (Blanca Portillo).
Auf grausame Weise miteinander verbunden: Ex-Terrorist Ibon Etxezarreta (Luis Tosar) und die Witwe und Politaktivistin Maixabel Lasa (Blanca Portillo).

Die Jahrzehnte von politisch motiviertem Terror und staatlicher Repression im Baskenland zählen zu den größten Hypotheken der spanischen Gesellschaft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die baskische Untergrundorganisation ETA längst Geschichte ist und ein mühevoller Aussöhnungsprozess begonnen wurde.

Zutiefst berührend

So verwundert es nicht, dass das Kinodrama „Maixabel“ in Spanien mit besonders großer Aufmerksamkeit aufgenommen wurde. Man muss den Konflikt um den baskischen Separatismus aber keinesfalls aus nächster Nähe miterlebt haben, um sich von diesem Film zutiefst berühren zu lassen.

Der mit fiktionalen Elementen angereicherte Film beruht auf realen Ereignissen und Personen. Im Mittelpunkt steht die politische Aktivistin Maixabel Lasa. Im Jahr 2000 wurde ihr Mann Juan Mari Jáuregui, der frühere sozialistische Zivilgouverneur der baskischen Provinz Gipuzkoa, durch einen Mordanschlag der ETA getötet. Elf Jahre später erhält sie eine unerwartete Anfrage: Zwei der Mörder bitten sie um ein Gespräch.

Mörder wollen sich erklären

Es sind Männer, die dem Terror abgeschworen und sich von ihrer Organisation losgesagt haben. Die keine Vergebung, sondern sich erklären wollen. Um den Opfern Antworten auf Fragen zu geben, die sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Doch bis es zu einer ersten Begegnung kommt, ist es ein langer Weg. Maixabel Lasa geht ihn, auch gegen größte Widerstände. Diese toben zunächst auch in ihr selbst.

Der gewaltsame Tod des auf Dialog bedachten Juan Mari Jáuregui traf nicht nur seine Frau und Tochter schwer, sondern auch den politischen Prozess im Baskenland. Maixabel Lasa setzte ihr Engagement für die Gesellschaft nach dem Attentat fort. Von 2001 bis 2011 war sie Direktorin des „Amtes für die Betreuung der Opfer des Terrorismus“, einer Einrichtung der baskischen Regierung. 2008 öffnete sie die Arbeit der Agentur für alle Opfer der Gewalt, auch für die Opfer der Paramilitärs und der Polizei.

Ungefiltert und überwältigend

Die auf einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren angelegte Geschichte vom Attentat bis zur späteren Annäherung zwischen Witwe und Tätern verfolgt der Film der renommierten spanischen Regisseurin und Co-Autorin Icíar Bollaín („Rosas Hochzeit“) aus mehreren Perspektiven. Das Ganze beginnt wie ein Thriller. Der Moment des Unfassbaren trifft Mutter und Tochter mit voller Wucht. Genauso ungefiltert und überwältigend werden die Terrorattacke und ihre Folgen dem Publikum vermittelt.

Parallel wird straff und schnörkellos erzählt, wie die ETA-Mörder die Tat vorbereiten und nach den tödlichen Schüssen ihre Spuren verwischen und am Ende doch hinter Gittern landen. Dort machen Luis Carrasco und Ibon Etxezarreta eine Entwicklung durch, die zunächst wenig mit Reue und dem Drang, sich zu erklären, zu tun zu haben scheint.

Emotionen ringen miteinander

Die Phase nach dem Anschlag nimmt die meiste Zeit des Films ein. Die psychologische Entwicklung der Hauptfiguren nimmt breiten Raum ein, wenngleich vieles zunächst im Ungefähren bleibt. Auch bei Maixabel Lasa gerät einiges in Bewegung. In ihr ringen nach der Gesprächsanfrage verschiedene Emotionen miteinander. Doch am Ende stellt sie sich der Herausforderung, dem Mörder ihres Mannes gegenüberzusitzen. Sie tut dies ebenso couragiert, wie sie auch die politische Arbeit, die sie mit Juan Mari Jáuregui begonnen hatte, fortführt.

Das erste Treffen von Maixabel und Ibon zählt zu den bewegendsten Momenten. Es ist der Auftakt für einen Austausch zwischen zwei auf grausame Art miteinander verbundenen Menschen, die gemeinsam verschlungene Wege hin zur Menschlichkeit erkunden. Blanca Portillo und Luis Tosar, zwei der bedeutendsten Schauspieler*nnen Spaniens, agieren in einem faszinierenden Wechselspiel, das lange nachwirkt.

Vielschichtige Charaktere

Der Film arbeitet immer wieder mit Ellipsen. Diese Aussparungen sorgen für Spannung, erwecken mitunter aber auch den Eindruck, dass sich die Dinge etwas zu glatt fügen. Oft bleibt viel Interpretationsspielraum. Das liegt auch daran, dass Maixabel Lasa und Ibon Etxezarreta sehr vielschichtige Charaktere sind. Blanca Portillo und Luis Tosar, zwei der bedeutendsten Schauspieler*innen Spaniens, agieren in einem faszinierenden Wechselspiel, das lange nachwirkt.

Icíar Bollaín ist es gelungen, vom Leben realer Personen zu erzählen, ohne den Mustern eines klassischen Bio-Pics zu folgen. Der in Ästhetik und Erzählweise sehr nüchtern gehaltene Film lässt Gefühle dort zu Geltung kommen, wo sie hingehören: Bei den durch extreme Erfahrungen verletzten Menschen.

Das ist bei einer emotional aufgeladenen Geschichte wie dieser nicht nur angemessen, sondern auch eine Kunst. Gerade dadurch schärft der Film das Bewusstsein für die psychologischen Dimensionen auch anderer Konflikte, an deren Ende die Aussöhnung stehen muss.

Info: „Maixabel“ (Spanien 2021), Regie: Icíar Bollaín, Drehbuch: Isa Campo und Icar Bollaín, mit Blanca Portillo, Luis Tosar, Urko Olazabal, María Cerezuela u.a., 115 Minuten.
http://www.maixabel.piffl-medien.de/
Kinostart: 26. Mai

0 Kommentare
Noch keine Kommentare