Filmtipp „The Lost Souls Of Syria“: Bilder des Todes klagen Assad an
Es lässt sich nicht anders beschreiben: „The Lost Souls Of Syria“ ist eine Zumutung. Der Dokumentarfilm konfrontiert uns mit widerwärtigen Verbrechen eines widerwärtigen Regimes. Beide stehen schon lange nicht mehr im Fokus der globalen Aufmerksamkeit. Das gilt leider auch für die Opfer.
Die Hölle namens Syrien
Hinzu kommt ein Wechselbad extremer Eindrücke: Tiefste Ohnmacht und Anflüge von Heilung. Unvorstellbare Grausamkeiten und mühsame Versuche, diese zu bestrafen. Die französischen Filmemacher*innen Stéphane Malterre und Garance Le Caisne führen uns durch die dunkelsten Gänge der Hölle namens Syrien, bieten an verschiedenen Stellen aber auch ein zartes Licht der Hoffnung. Es ist nicht leicht, dieses Pandämonium zu ertragen und sich darin zu orientieren.
Was dieser Film ausbreitet, wurde möglich durch einen sensationellen Leak und einen moralischen Bankrott. Im Jahr 2014 verschwanden etwa 27.000 Fotos aus syrischen Geheimdienstarchiven. Es sind die sogenannten Caesar-Akten. Ordentlich nummeriert, sind darauf Menschen jeden Alters zu sehen, die Geheimdienste und Militärpolizei zu Tode gefoltert haben. Nach ihrer Veröffentlichung wollten einige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates die Verbrechen durch den Internationalen Strafgerichtshof aufarbeiten lassen, doch Assads Verbündete Russland und China legten ihr Veto ein. Seitdem ist es jedem einzelnen Land überlassen, gegen die Peiniger vorzugehen.
Erst Polizeifotograf, plötzlich Dissident
Man muss diesen Kontext vor Augen haben, um die ganze Dramatik zu erfassen, die der Film bietet. Dieser bewegt sich im Grunde auf zwei Erzählebenen. Wir erfahren, wie ein ehemaliger Fotograf der Militärpolizei – sein Deckname lautet Caesar – vom kleinen Rädchen im System zum Dissidenten wurde und die besagten Fotos mithilfe seines Kompagnons „Sami“ unter Lebensgefahr aus dem Land geschafft hat. Wie er mit den schockierenden Aufnahmen das System Assad immer wieder öffentlich an den Pranger stellt und meist vergeblich auf politisches Gehör hofft. Und welcher Preis mit seinem neuen Leben im Exil verbunden ist.
Die Fotos von verstümmelten und ausgemergelten Gestalten, die weltweit in Ausstellungen zu sehen waren, haben einiges in Bewegung gebracht. Etliche im Ausland lebenden Syrer*innen erkannten darauf Verwandte, die seit Langem verschwunden waren. Familien begannen, das Schicksal ihrer Angehörigen zu erforschen und zu versuchen, die Folterknechte für ihre Taten zu belangen. Dieser Strang nimmt den breitesten Raum ein.
Verzweiflung, Hoffnung und Enttäuschung
2017 reichte eine Friseurin aus Madrid vor einem spanischen Gericht Klage gegen neun hohe syrische Sicherheitsbeamte ein, die für den Tod ihres Bruders verantwortlich sein sollen. Ein Jahr zuvor entschloss sich der syrisch-französische Ingenieur Obeïda Dabbagh, in Frankreich Klage wegen gewaltsamer Entführung und Folter zu erheben: in der Hoffnung, damit die Freilassung seines Bruders und Neffen aus einem Gefängnis in Damaskus zu erzwingen.
Fünf Jahre lang begleitete das Filmteam die beiden Familien und ihre Anwält*innen. Aus nächster Nähe erleben wir Dramen zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Enttäuschung, immer verbunden mit der Befürchtung, durch die rechtlichen Schritte Menschen zu gefährden. Bei ihren internationalen Recherchen drangen die Jurist*innen immer tiefer in das seit Jahrzehnten kultivierte Terrorsystem des syrischen Geheimdienstes vor. Im Zuge des Arabischen Frühlings und des anschließenden Bürgerkriegs wurde es zum Überlebenselixier der syrischen Führungselite.
100.000 Menschen „verschwanden“ in Syrien
Immer wieder kehrt der Film, der auf Garance Le Caisnes Buch „Codename Caesar – im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“ basiert, zu seinem Ausgangspunkt zurück: zu jenen Bildern, die jedes für sich eine schreiende Anklage sind. Sie stehen für jene rund 100.000 Menschen, die seit dem Beginn der ersten Großdemos gegen Assad vor zwölf Jahren verschwunden sind. „Wenn man diese Fotos sieht, fragt man sich, warum das Regime seine eigenen Verbrechen dokumentiert“, sagt „Sami“. Der Film hat darauf eine vielsagende Antwort.
„Caesars“ Bilder machen nicht nur betroffen und wütend, sie besitzen auch Beweiskraft. Sie trugen dazu bei, dass 2022 in Deutschland zum ersten Mal ein Verantwortlicher für Syriens Staatsfolter verurteilt wurde. Als Vernehmungschef hat Anwar Raslan das Martyrium von 4.000 Menschen verantwortet. Dass es zu seiner lebenslangen Haftstrafe gekommen ist, macht Hoffnung. Auch davon erzählt dieser Film, dem es gelingt, das Unsagbare in subtilen Bildern aufzulösen. Und der bei aller Empathie und all dem Schrecken nie seinen analytischen Fokus verliert.
Info: „The Lost Souls Of Syria“ (Frankreich, Deutschland 2022), ein Film von Stéphane Malterre und Garance Le Caisne, 99 Minuten, OmU.
https://www.thepartysales.com/movie/the-lost-souls-of-syria/
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