Kultur

Filmtipp „Liebe, D-Mark und Tod“: Von Arbeiterliedern zum Hip-Hop

Es kamen Menschen und es blieben ihre Lieder: Der Film „Liebe, D-Mark und Tod“ stellt die Musikszene türkischer Zuwander*innen in Deutschland seit den 60er-Jahren vor. Eine Reise in eine schillernde kulturelle und auch politische Welt.
von ohne Autor · 30. September 2022
 Metin Türkoz: Er galt als „Stimme der türkischen Arbeiter in Deutschland“. Ende der 70er-Jahre gab er sein Musikerdasein auf.
Metin Türkoz: Er galt als „Stimme der türkischen Arbeiter in Deutschland“. Ende der 70er-Jahre gab er sein Musikerdasein auf.

Bilder vom Fließband bei Ford und in einer Pralinenfabrik huschen am Auge vorbei. Aus dem Off kommt melancholischer Gesang, begleitet von einem Saz, der typischen Langhalslaute. „Den Türken, ohne die unsere Wirtschaft auch heute nicht möglich wäre, schmerzen nicht nur die Finger“, raunt der Sprecher in einem westdeutschen TV-Beitrag über Migrant*innen. Gemeint ist: Es schmerzt ihnen auch die Seele.

Als „Gastarbeiter*innen“ in die Bundesrepublik

Der Ursprung dieser dozierend gestalteten Sequenz ist in den späten 70er-Jahren zu vermuten. Regisseur Cem Kaya hat sie zu Beginn seines Filmes platziert. Dieser Auftakt bringt den erzählerischen Kern von „Liebe, D-Mark und Tod“ auf den Punkt.

Bekanntermaßen kamen Menschen aus der Türkei seit den frühen 60er-Jahren als „Gastarbeiter*innen“ in die Bundesrepublik. Wenig bekannt ist, dass einige von ihnen in der Fremde neue Musikstile und einen eigenen popkulturellen Kanon entwickelten. Traditionelle Elemente aus dem anatolischen Kulturraum trafen auf zeitgenössische Elemente.

Erfahrungen verarbeiten

Häufig dienten die Lieder dazu, das emotionale Wirrwarr zu verarbeiten, das mit dem neuen Leben verbunden war. Etliche Songtexte aus den 60er- und 70er-Jahren sprechen voller Emphase von der Sehnsucht nach den Lieben in der Türkei, berichten aber auch sarkastisch und bitter von den Enttäuschungen in Westdeutschland. Viele dieser Künstler*innen wurden später auch in ihrem Geburtsland zu Stars.

Cem Kaya bringt uns diese, dem Großteil der deutschen Öffentlichkeit kaum bewusste kulturelle Welt näher. Eigentlich sind es Welten. So unterschiedlich wie das musikalische Gepäck der aus verschiedensten Teilen der Türkei Zugewanderten waren die regionalen Ausprägungen ihrer Sounds in Köln, München oder West-Berlin.

Der Filmemacher will dieses Liedgut nicht als Subkultur verstanden wissen. Ihm geht es um „die musikalische Sozialisierung von drei Millionen türkeistämmigen Menschen in Deutschland“. Das sei kein Underground, sondern „schillerndste Popmusik“, die den Pop in Deutschland insgesamt beeinflusst habe.

Erzählt wie ein Essay

Die Geschichte dieses Massenphänomens schildert Kaya, 1976 als Sohn türkischer Zuwanderer*innen in Schweinfurt geboren, von der Abreise der ersten „Gastarbeiter*innen“ bis heute. Die Erzählweise hat mehr mit einem Essay oder einer Collage aus Videoclips als mit einer „klassischen“ Dokumentation zu tun. In schnellen Schnitten wechseln Archivaufnahmen von Künstler*innen mit Fernsehbildern von Zugewanderten auf verschiedenen Etappen ihrer Reise und an ihrem neuen Lebensmittelpunkt. Immer wieder steht die Musik an sich im Mittelpunkt.

Hinzu kommen Interviews, die der Regisseur in den letzten Jahren mit einigen Protagonist*innen geführt hat. Gerade in diesen Momenten, wenn der Film etwas zur Ruhe kommt, wird das große Ganze sehr konkret und persönlich.

Mehrere Goldene Schallplatten

Zwei Gesprächspartner*innen bleiben besonders haften. Die Sängerin Yüksel Özkasap kam in den 60er-Jahren nach Westdeutschland. Bei der türkischen Community war sie so beliebt, dass sie die „Nachtigall von Köln“ genannt wurde. Der Erfolg ihrer meist traurigen und sehnsuchtsvollen Songs schlug sich in mehreren Goldenen Schallplatten nieder. Die „Mehrheitsbevölkerung“ bekam davon wenig bis gar nichts mit.

Ähnlich erging es Metin Türköz. Er gilt hierzulande als allererster türkischer Volkssänger und wurde seinerzeit als „Stimme der türkischen Arbeiter in Deutschland“ bezeichnet. In Liedern wie „Gastarbeyter raus“ und „Maystero“ setzte er sich äußerst kritisch mit der Situation der türkischen Migrant*innen auseinander.

Rassismus und Hip-Hop

Schlaglichtartig widmet sich der Film auch den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen über die Milieus der Zugewanderten hinaus, zeigt Wechselwirkungen auf. So ist zu verfolgen, wie die zunehmende rassistische Gewalt in Deutschland nach 1989 den Boom des türkisch-deutschen Hip-Hop begünstigte. Kaya reduziert dieses Genre und die daran angedockte Jugendkultur auf einen Akt der Selbstbehauptung. An dieser Stelle hätte sein Blick etwas differenzierter ausfallen können.

„Liebe, D-Mark und Tod“ katapultiert uns mitten hinein in die Untiefen der deutschen Migrationsgeschichte, beeindruckt durch überraschende Perspektiven und ästhetische Einblicke. Die schnellen Sprünge zwischen Personen und Schauplätzen tun dem Erzählfluss nicht immer gut. Und doch formiert sich aus unzähligen Details ein Bild, das die Wahrnehmung von Migranten und „ihrer“ Kultur erheblich erweitert. So schillernd wie die Musik, um die es geht, ist auch der Film, der längst überfällig war und dieses Jahr bei der Berlinale gezeigt wurde.

Der Titel bezieht sich auf ein Gedicht von Aras Ören. 1982 wurde es von Anette Humpes Band „Ideal“ vertont. Die erste Strophe wird am Anfang des Filmes zitiert. Womit sich der kulturelle Kreis schließt.

Info: „Liebe, D-Mark und Tod“ („Aşk, Mark ve Ölüm; Deutschland 2022), ein Film von Cem Kaya, mit İsmet Topçu, Yüksel Özkasap, Metin Türköz, Yüksel Ergin u.a., 96 Minuten.
https://rapideyemovies.de/liebe-d-mark-und-tod
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