Filmtipp: Lektion über Menschlichkeit im Zweiten Weltkrieg
Eurovideo Medien
Französische Zivilisten verhalfen im Zweiten Weltkrieg Tausenden Menschen jüdischen Glaubens zur Flucht über die Berge nach Spanien. Ein Beispiel für Humanität in düsteren Zeiten. Welche Gefahren damit verbunden waren, davon erzählt das Drama „Nur ein einziges Leben“.
Man muss wohl davon ausgehen, dass dieses Kapitel außerhalb Frankreichs der breiten Masse wenig bekannt ist. Dieser Film ruft es in Erinnerung. Die britisch-belgische Produktion erzählt von Jo (Noah Schnapp), einem Jungen in den Pyrenäen. Normalerweise ist er im Sommer damit beschäftigt, Schafe außerhalb des Dorfes weiden zu lassen. Eines bekommt er mit, dass eine alte Witwe im Tal jüdische Kinder versteckt, die über die Grenze gebracht werden sollen. Als deutsche Soldaten das Dorf besetzen, ist dieser Fluchtweg versperrt. Jo entschließt sich zu helfen. Dabei wächst er im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinaus. Erst recht, als sich die Situation unter den Besatzern zuspitzt.
Unglaublich harmonische Dorfgemeinschaft
Der Film basiert auf dem Roman „Waiting For Anya“ („Warten auf Anya“) des britischen Kinder- und Jugendbuchautors Michael Murporgo. Dieser lieferte bereits die Vorlage für Steven Spielbergs „Gefährten“. Neben dem Buch ist auch die Verfilmung auf junge Zuschauer*innen zugeschnitten. Nur wenige Figuren weisen Ecken und Kanten auf und bilden eine nahezu harmonische Dorfgemeinschaft, die sich von den Deutschen nicht korrumpieren lässt. Die Botschaft steht stets überdeutlich im Raum: Gerade in schwierigen Zeiten kommt es darauf an, sich für Menschlichkeit einzusetzen und das Unmögliche möglich zu machen.
All dies wird am Beispiel von Jo, dessen Perspektive die Erzählung folgt, gezeigt. Gemeinsam mit Benjamin (Frederick Schmidt), der mit seiner Tochter Anya nur knapp der Deportation entging und nun bei der besagten Witwe (großartig: Anjelica Huston) auf sie wartet, schmiedet er einen Plan. Jos Großvater (Jean Reno), ein dekorierter Veteran des Ersten Weltkriegs, steht ihnen zur Seite. Zur gleichen Zeit freundet sich Jo, der das Ganze auch als Abenteuer erlebt, mit einem deutschen Offizier (Thomas Kretschmann) an, wodurch ein weiterer Erzählstrang entsteht. Wird der Junge dem Spiel mit Konspiration und Täuschung auf Dauer gewachsen sein?
Die Nazis kommen und gehen, doch die Berge, die Menschen und ihre Traditionen bleiben: Diese Haltung ist allgegenwärtig und erinnert an Terrence Malicks Film „Ein verborgenes Leben“ über den österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, einem Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Ähnlich schwelgerisch sind die Bilder von Gipfeln, Wiesen und Wäldern auch hier. „Nur ein einziges Leben“ hat allerdings weitaus weniger Ambivalenzen aufzuweisen.
Drehbuch und Regie: Glatt, aber ohne Mut
Dass die natürlichen Widersprüche und Reibungsflächen einer ländlichen Gesellschaft, zumal im Besatzungsalltag, außen vor bleiben, mag dem Zielpublikum geschuldet sein. Und doch hätten Drehbuch und Regie mutiger und subtiler agieren können. Und auch präziser: Ungelenke Sätze wie „Andere Leute sammeln Münzen, wir sammeln Feinde des Reiches“, den die besagte Witwe lakonisch fallen lässt, verleihen gerade Schlüsselszenen einen schalen Beigeschmack.
Im Gegensatz dazu gibt es aber auch viele berührende und auch überwältigende Momente. Anstatt ins Pathetische abzudriften, werden Emotionen geschickt dosiert. Die Szenerie der Hochpyrenäen trägt ein Übriges zur Wirkung bei, wird aber keinesfalls verkitscht. Über allem thront der Appell an die Menschlichkeit. Diesen kann man nicht früh genug vermitteln. Wenn es sein muss, auch um den Preis der Vordergründigkeit, zumal einige hervorragende Darsteller*innen durchaus Akzente setzen.
„Nur ein einziges Leben“ („Waiting For Anya“, Großbritannien/Belgien 2020), Regie: Ben Cookson, mit Noah Schnapp, Frederick Schmidt, Anjelica Huston, Jean Reno u.a., 105 Minuten, FSK ab zwölf Jahre
Ab 11. März auf DVD und Blu-ray, als Video on Demand bereits verfügbar.