Filmtipp: Landraub
Früher kamen die Kolonialherren mit Armeen. Heute bauen sie Fabriken. So sieht es der deutsche Agrarwissenschaftler Felix zu Löwenstein. Der Biobauer aus Hessen, einer der Protagonisten in „Landraub“, warnt vor den unabsehbaren Folgen – und zwar nicht nur für die Umwelt – einer einzig auf hohe Erträge und niedrige Lohnkosten schielenden Nahrungsmittelwirtschaft. Nach der Finanzkrise verlegten sich viele Investoren und Spekulanten auf Agrarerzeugnisse. Seitdem galoppieren die Preise unaufhörlich. So wurde der Boden – mehr als ohnehin schon – zu einer weltweit heiß begehrten Ressource. Dass die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden muss, gerät dabei fest in den Hintergrund. Wenngleich diese Tatsache den Agrarriesen immer wieder als Legitimation dient.
Krieg um fruchtbares Ackerland
Seit Menschengedenken werden Kriege um fruchtbares Ackerland geführt. So auch heute, wenngleich mit anderen Mitteln. Davon erzählen der Autor Christian Brüser und Regisseur Kurt Langbein in ihrem Dokumentarfilm. Zwei Jahre lang spürten die beiden Österreicher den Folgen der Expansionslust der industriellen Landwirtschaft nach. In Afrika, Südostasien und Südamerika begegneten sie Menschen, die die Folgen der Handelspolitik der EU, die den neuen Kolonialismus der Europäer erst möglich macht, ausbaden müssen. Das Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen zum „Internationalen Jahr des Bodens“ ausgerufen. So darf man gespannt sein, welche Resonanz diese aufwühlende Produktion unter den Entscheidern zeitigt. Politischen Sprengstoff bietet sie reichlich.
Profit statt Menschenrechte
Bis 2008 wurde in Kambodscha überhaupt kein Zuckerrohr angebaut. Heute umfassen die Plantagen mehr als 100000 Hektar. Vor zwei Jahren verkaufte das bitterarme Land einen Zuckerberg im Wert von 50 Millionen Euro in die EU. Profitiert haben davon nur die Reichen und Mächtigen. Gleichzeitig wurden mehr als 12000 Menschen von ihrem eigenen Grund und Boden verjagt. 2012 hatte das EU-Parlament eine Resolution beschlossen, wonach Brüssel das Handelsabkommen wegen der Menschenrechtsverletzungen aussetzen soll. Doch die Entscheidung blieb folgenlos, wie der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling verbittert bemerkt.
Zahlen, Strukturen, Verträge und Resolutionen: „Landraub“ füttert den Zuschauer mit einem Batzen an Wissen darüber, wie Europas Politiker der globalen Ausbeutung den Boden bereiten. Kambodscha ist nur eines von vielen Beispielen. Und manch eines ist gar nicht so weit weg: In Rumänien lernen wir einen Bauern kennen, der sich mit einem bisschen Vieh und überschaubaren Ackerflächen müht, sich gegen ausländische Investoren zu behaupten, die seit den 1990er-Jahren riesige Flächen erworben haben. Deren Vorteil: Mit der Größe der Felder wachsen auch die Subventionen aus Brüssel. Das hat zur Folge, dass in Rumänien ein Prozent aller Betriebe die Hälfte der gesamten Agrarsubventionen erhält. Kleinbauern gehen oft leer aus.
.. mit Subventionen aus Brüssel unterstützt
Dieser und andere Zusammenhänge werden in eine atmosphärisch dichte Erzählung eingebettet, die weniger anklagt, sondern versucht, die Motive aller Beteiligten zu verstehen – schließlich werden Strukturen von Menschen erdacht und gelebt. Investoren werden nicht als Monster an den Pranger gestellt, sondern als Individuen mit eigenen Vorstellungen. So kann es sein, dass der österreichische Herr über rumänische Mega-Äcker nicht nur glaubwürdig, sondern sogar sympathisch wirkt. Im Zusammenspiel mit denen, die nicht von der Subventionspolitik profitieren, ergibt sich freilich ein anderes Bild.
All diese Verwicklungen – es ließe sich auch von Tragödien sprechen – werden mit opulenten Aufnahmen von den Objekten der Begierde kombiniert. Mögen die Mähdrescher-Ungetüme auch als Symbol der Ausbeutung erscheinen, so sind diese und ähnliche Exponate der einschüchternden Größe von einer ganz eigenen Schönheit. Und dem Zuschauer bleibt etwas Zeit, um all die Informationen im Kopf zu sortieren und dem roten Faden zu folgen.
Kleinteilig und nachhaltig Wirtschaften in Äthiopien
Doch der Film macht auch – etwas – Hoffnung. In Äthiopien begegnen wir Bauern, die, unterstützt von einem Hilfsprogramm, dazu übergegangen sind, kleinteilig und nachhaltig Getreide anzubauen und darin ihr Auskommen finden. Dieser Weg zur Eigenständigkeit klingt wie ein Modell für viele Regionen des Landraubs: Kleinbauern stärken und damit die Nahrungsversorgung vor Ort sichern, anstatt auf Kosten von Mensch und Umwelt künstliche Exportfabriken zu errichten. Ein unaufdringlich inszenierter, aber letztendlich eindringlicher Appell auch an uns als Verbraucher.
Info: Landraub (Österreich 2015), ein Film von Kurt Langbein und Christian Brüser, 95 Minuten, jetzt im Kino