Filmtipp „Land Of Dreams“: Die zwei Gesichter der USA
Vor nicht allzu langer Zeit grassierten Befürchtungen, die USA könnten in ein autoritäres System abgleiten. In „Land Of Dreams“ ist dies längst passiert. Das Land hat sich nach außen abgeschottet und die Regierung strebt nach der totalen Kontrolle der Menschen.
Traumfänger*innen fahren durchs Land
Deren Träumen kommt besonderes Interesse zu. Kein Wunder, schließlich präsentiert sich unser Bewusstsein darin absolut ungefiltert. Wünsche und Ängste kommen zum Ausdruck. Wer die Träume kontrolliert, kontrolliert auch den Rest. Traumfänger*innen fahren durchs Land und befragen die Leute im Auftrag des Zensus-Büros nach dem, was sie im Schlaf durchleben.
Eine dieser von Tür zu Tür ziehenden Traumfänger*innen ist Simin. Die junge Frau mit iranischen Wurzeln verfolgt dabei eine eigene und geheime Intention. Gleichzeitig wachsen ihre Zweifel an der totalitären Bürokratie, für die sie sich hergibt.
Wie Zuwander*innen die USA erleben
Simins Geschichte ist eng mit dem Leben der Regisseur*innen Shirin Neshat und Shoja Azari verbunden. Beide stammen aus dem Iran und leben seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten, kennen also den Blick von Zuwander*innen auf das Land wie auch die Innenperspektive. Die USA als Land der Träume: Der Film spielt geschickt mit der Doppeldeutigkeit zwischen verheißungsvollem Sehnsuchtsort auf der einen und einem Sammelbecken von Träumen in einer autoritären und xenophoben Gesellschaft auf der anderen Seite.
Neshat hatte die Grundidee für die Geschichte. Azari schrieb mit Jean-Claude Carrière das Drehbuch. Dabei entstand eine Satire und Parodie auf Politik und Alltagskultur in den USA, die sehr viel damit zu tun hat, wie diese drei Menschen Amerika erleben und erlebt haben: als ein zutiefst gespaltenes Land mit tiefgreifenden sozialen und politischen Veränderungen. Es geht aber auch um Neshats und Azaris Erfahrungen als Migrant*innen ebendort. Und darum, wie ihre Visionen von einem besseren Leben dort mit der Realität kollidierten.
Kunst im Verborgenen
Selbstheilung durch Kunst: Dieser Ansatz zieht sich wie ein roter Faden durch Neshats Schaffen. Kurz nach der Islamischen Revolution verließ sie den Iran. In den USA reüssierte sie als Fotografin und Filmemacherin und wurde zu einer weltweit gefragten Künstlerin. Immer wieder befasste sie sich mit der Situation von Frauen im Mittleren Osten, etwa in der Fotoreihe „Women Of Allah“ oder in dem Film „Women Without Men“. Darin verarbeitete sie stets auch den Verlust ihrer Heimat und ihren Blick auf das Mullahregime.
Eine ähnliche Strategie verfolgt Simin. Wenn sie sich in irgendeinem Wohnzimmer irgendwo im verschlafenen Mittleren Westen den letzten Traum der ausgewählten Person nacherzählen lässt, belässt sie es nicht bei ihrem Job. Nach Feierabend schlüpft sie in die Rolle der befragten Menschen und stellt das Interview nach. Und zwar in Farsi, der Sprache ihres Geburtslandes Iran. In Sozialen Medien teilt sie das Ganze. Diese Kunst im Verborgenen ist ihr Weg, ihre Erfahrungen und Ängste als Migrantin, die der Gewalt und Unfreiheit in der Islamischen Republik entkam, zu verarbeiten.
Häusliche Welten und surreale Bilder
Simins Doppelleben verläuft ohne größere Zwischenfälle. Bis sie eines Tages den Spezialauftrag erhält, bei einer besonders renitenten Community auf Traumfang zu gehen. In dieser neuen Dynamik wird ihr zunehmend klar, wie unbeherrschbar die Welt der Träume ist und wie sehr sich Traum und Realität in unserer Wahrnehmung vermischen. Ein Moment der Wahrheit mit weitreichenden Folgen.
Bei jedem von Simins Hausbesuchen werden Klischees über das Amerika jenseits der Metropolen, wo sich viele Menschen abgehängt fühlen und den Trumpismus befeuerten, genüsslich ausgebreitet. Ob alltägliche häusliche Welten oder surreale Bilder an der Grenze zum Traum: Die bis ins letzte Detail durchkomponierten Szenenbilder zeugen von Neshats fotografischen Arbeiten und Ausstellungen. Die Bildsprache bietet aber auch Reminiszenzen an die Werke des surrealistischen Filmregisseurs Luis Buñuel, für den der mittlerweile verstorbene Carrière mehrere Drehbücher verfasst hat.
Ein Kaleidoskop von Klischees
Das Kaleidoskop von Klischees lebt auch davon, dass der Film zwar im „unscheinbaren“ Mittleren Westen spielt, aber in New Mexico gedreht wurde: Schließlich dient die dortige Wildwest-Landschaft immer wieder als Projektionsfläche für das „Sehnsuchtsland USA“.
Die experimentelle und konzeptionelle Ästhetik sorgt dafür, dass der satirische und komödiantische Ansatz des Filmes häufig in den Hintergrund gerät. Sie unterstützt allerdings den eigentlichen Reiz von „Land Of Dreams“. Und der besteht darin, Simin bei ihrer Selbsterkundung zu begleiten. Diese Reise ins Ungefähre steckt voller Überraschungen und entwickelt trotz einiger diffuse Momente einen ganz eigenen Sog. Auch dadurch bietet „Land Of Dreams“ einen Blick in die Zukunft von beunruhigender Aktualität.
Info:
„Land Of Dreams" (Deutschland, USA 2021), Regie: Shirin Neshat und Shoja Azari, Drehbuch: Jean-Claude Carrière und Shoja Azari, mit Sheila Vand, Matt Dillon, William Moseley, Isabella Rossellini u.a., 113 Minuten.
https://www.wfilm.de/land-of-dreams/
Kinostart: 3. November