Kultur

FIlmtipp: Iranisches Drama um Schuld und Verantwortung

Ein Verkehrsunfall in Teheran stellt zwei Existenzen auf den Kopf: Das packende Drama „Eine moralische Entscheidung“ widmet sich universalen Fragen.
von ohne Autor · 14. Juni 2019
Noori Pictures: Eine moralische Entscheidung mit Amir Agha’ee
Noori Pictures: Eine moralische Entscheidung mit Amir Agha’ee

Am Anfang einer Katastrophe steht oft ein dämlicher Zufall. Weil ihm während einer Fahrt durch das nächtliche Teheran ein anderes Auto den Weg abschneidet, rammt Kaveh Nariman mit seinem Wagen ein Motorrad. Darauf sitzt eine vierköpfige Familie. Der achtjährige Amir wird leicht am Kopf verletzt. Kaveh arbeitet als Gerichtsmediziner und hat täglich mit den Opfern von Unfällen und Gewalttaten zu tun. Er untersucht den Jungen am Straßenrand, findet aber nichts Auffälliges.

Der Forensiker drängt Amirs Vater Moosa, seinen verletzten Sohn direkt ins Krankenhaus zu bringen und bietet ihm Geld als Entschädigung für die Unkosten an. Er selbst will im Verborgenen bleiben, weil seine Kfz-Sicherung abgelaufen ist. Bloß keinen Ärger mit der Polizei riskieren! Am nächsten Morgen findet Kaveh einen Achtjährigen auf der Liste der Toten, die zur Autopsie eingeliefert wurden. Es ist Amir.

Wachsende Zweifel

Kaveh glaubt, für seinen Tod verantwortlich zu sein. Doch vorerst behält er das Geheimnis für sich. Eine ihm nahestehende Kollegin diagnostiziert eine Lebensmittelvergiftung als Ursache. Und die hat offenbar Moosa zu verantworten. Einige Tage zuvor hatte er Amir verdorbenes Fleisch zu essen gegeben. Eigentlich ist Kaveh also aus dem Schneider. Doch in ihm wachsen Zweifel, dass der Junge wirklich an der Lebensmittelvergiftung gestorben ist. Sollte er ihn exhumieren lassen, um Klarheit zu erlangen?

Derweil versucht auch Moosa, der von fürchterlichen Vorwürfen geplagt ist, den Hintergrund von Amirs Tod aufzudecken. Besser gesagt: Er sinnt auf Rache. Nach einer Schlägerei in dem Schlachtbetrieb, wo er das Gammelfleisch gekauft hatte, landet er im Gefängnis.

Für beide Männer wird die Suche nach der Wahrheit zu einem Trip, der ihre Existenz auf den Kopf stellt. Regisseur Vahid Jalilvand verfolgt die Handlungsstränge getrennt voneinander und führt sie an einigen Stellen wieder zusammen. So entsteht ein kontrastreiches Szenario rund um Kategorien wie Schuld um Verantwortung. Darin werden auch die Gegensätze der iranischen Gesellschaft sichtbar.

Sturz ins Bodenlose

Auf der einen Seite befindet sich Moosa, der mit seiner Familie in einem einfachen Verschlag am Stadtrand lebt und seinen Schwiegereltern noch nicht einmal einen ordentlichen Leichenschmaus bieten kann. Moosa wird von Trauer und „Ehrverlust“ überwältigt und lässt sich davon, für alle sichtbar, zum Äußersten treiben. Kaveh bildet das andere Extrem: Auch in dem gut situierten Arzt rumort es gewaltig, doch ist er bemüht, dies vor seinen Mitmenschen zu verbergen. Während sich das Elend für Moosas Familie „nur“ um weitere Grade vergrößert, droht Kaveh, sollte er für sein Vorgehen in der Unfallnacht verurteilt werden, ins Bodenlose zu fallen.

Seine Weltpremiere feierte „Eine moralische Entscheidung“ im Jahr 2017 bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter für die Beste Regie und den Besten Hauptdarsteller (Navid Mohammadzadeh als Moosa) in Venedig. Nicht nur wegen dieser internationalen Lorbeeren reiht sich diese Arbeit des 1976 geborenen Regisseurs in den Reigen vieler angesehener Produktionen des neuen iranischen Kinos ein. Man denke etwa an Asghar Farhadis „Nader und Simin – eine Trennung“ oder „Taxi Teheran“ von Jafar Pahani.

Universaler Ansatz

Auch „Eine moralische Entscheidung“ ist gleichermaßen subtiles und intensives Erzählkino. Der Film lebt von einer präzisen Beobachtung, einer realistischen Inszenierung und überragenden Darstellern und spielt obendrein mit den Erwartungen des Publikums. Anders als Asghar Farhadi und Jafar Pahani ging es Vahid Jalilvand allerdings nicht darum, ein Porträt der iranischen Gesellschaft zu zeichnen. Die Tragödie zweier Männer ist viel universaler angelegt und könnte überall spielen.

Kritikwürdige Symptome des Gottesstaates, etwa die allgegenwärtige Korruption oder Gewalt gegen Frauen, werden eher beiläufig eingestreut. So weigert sich Kaveh, schlampige Obduktionsberichte zu unterzeichnen, die Verbrechen verschleiern sollen. Umso komplizierter ist seine persönliche Stunde der Wahrheit.

 

„Eine moralische Entscheidung“ („No Date, No Signature“, Iran 2017), ein Film von Vahid Jalilvand, mit Amir Agha’ee, Navid Mohammadzadeh, Hediyeh Tehrani u.a., 104 Minuten, OmU.

Kinostart: Donnerstag, 20. Juni

 

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