Filmtipp „Im Land meiner Kinder“: Eingebürgert und nun?
Vor gut 20 Jahren war Dario Aguirre der Liebe wegen nach Deutschland gekommen. In Hamburg schlug er Wurzeln. Von Anbeginn an hatte er intensiven Kontakt mit den Behörden. Sein Visum musste alle zwei Jahre erneuert und von seiner Partnerin unterschrieben werden. Wie so viele andere Dokumente auch.
Eingeladen zur Einbürgerung
Nach vielen Jahren wird er vom Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz eingeladen, sich einbürgern zu lassen. Der Künstler und Filmemacher aus Ecuador nimmt die langwierige Prozedur auf sich. Seine Motivation besteht unter anderem auch darin, nie wieder zur ungeliebten Ausländerbehörde gehen zu müssen. Endlich möchte er sich „erwachsen“ fühlen.
Was er anfangs nicht ahnt: Das Verfahren wird ihn dazu bringen, die Jahre, seitdem er Südamerika verlassen hat, unter die Lupe zu nehmen. Unter anderem auch deswegen, weil die Behörden eine Vielzahl von Daten abfragen, die seine Eltern und Schwiegereltern betreffen.
Gewonnen und verloren zugleich
So macht er sich ins sächsischen Zittau auf. In Gesprächen mit Schwiegermutter und Schwiegervater lässt er die Fremdheitserfahrungen und Konfliktpunkte jener Zeit, als er sich als 20-Jähriger in deren Haus einquartierte, Revue passieren. Immer wieder geht es um die Frage: Was ließ er damals in Ecuador zurück? Was gewann er dafür hinzu? Und vor allem: Glauben Aguirre und die anderen, dass mit der Einbürgerung alles gut oder zumindest einfacher wird?
„Im Land meiner Kinder“ ist ein mit viel Selbstironie, aber auch leiser Melancholie inszenierter Versuch einer Bilanz, der den Blick auf Zukünftiges ganz bewusst frei gestaltet. Die deutsche Bürokratie wird nicht verteufelt, aber auch nicht in idyllischen Farben gemalt. Subtil und humorvoll spielt der Film mit Klischees, wenn er den Alltag in der Bundesrepublik, wo Aguirre längst eine eigene Familie gegründet hat, mit dem in seinem 14.000 Kilometer entfernten Geburtsland vergleicht.
Ein ganz persönlicher Blick
Dabei wird nicht auf abstrakte Weise das Leben „der anderen“ eingefangen, sondern sein ganz persönlicher Blick. Denn im Zentrum der Handlung steht Aguirre selbst, Immer wieder schaut er in Gesprächssequenzen oder während roadmovieartiger Szenen selbstkritisch auf sich selbst: Hat er genug getan, um sich in Deutschland ein sicheres Leben aufzubauen? Ist das für ihn als kreativ arbeitenden Menschen überhaupt möglich? Wo es keine adäquaten Bilder gibt, sind animierte Einstellungen zu sehen, die wiederum manch absurdes Erlebnis unterstreichen.
„Wenn Du über Jahre eine schlechte Beziehung führst und plötzlich kommt dieser Mensch und will dich heiraten, dann fragt man sich schon warum“, sagt Aguirre über den Ausgangspunkt seines Films. „Es gibt einen bittersüßen Beigeschmack.“ Diese besondere Note schwingt immer mit.
Ein Spiegel der Ängste und Wünsche
Schnell wird deutlich, dass die Suche nach einem Platz im Leben für den heute 40-Jährigen, der von frühester Jugend an vom Künstlerdasein träumte und bereits in Ecuador als schriller Performancekünstler und Musiker auf sich aufmerksam machte, nicht erst in Sachsen oder Hamburg, wo er visuelle Kommunikation studierte, begonnen hat. Nicht zuletzt dieser, dem Ganzen zusätzliche Komplexität verleihende Aspekt macht den Reiz dieser verschlungenen und drei Jahre umfassenden Reise vom „Land der Eltern“ ins „Land der Kinder“ aus.
Wenn sich Aguirre („Ich lebe ein permanentes Doppelleben“) mit der ebenfalls aus Ecuador zugewanderten Mariuxi unterhält, die die Einbürgerung bereits hinter sich hat, scheint er seine eigenen Hoffnungen, Ängste und Wünsche wie im Spiegel zu betrachten. Es ist eine Art Zukunftsvision, wenngleich dieser Film deutlich macht, wie sehr Integration letztendlich ein von individuellen Prägungen geleiteter Prozess bleibt und auch bleiben muss.
Info: „Im Land meiner Kinder“ (Deutschland/Schweiz 2018), ein Film von Dario Aguirre, 88 Minuten
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