Kultur

Filmtipp „Il mio corpo“: Nichts wie raus aus der Stagnation

Für sie ist Sizilien eine Falle: Der italienische Dokumentarfilm „Il mio corpo“ erzählt von einem Teenager und einem Geflüchteten, die nach einer neuen Richtung für ihr Leben suchen. Und auch nach ihrer Identität.
von ohne Autor · 19. August 2022
Ein bisschen Hoffnung: Schrottsammler Oscar träumt von einem anderen Leben.
Ein bisschen Hoffnung: Schrottsammler Oscar träumt von einem anderen Leben.

Von oben knallt die gnadenlose Sonne Siziliens. Unten, am Ende des Hanges an der Straße, sucht Oscar nach brauchbarem Altmetall. Später bringt der heranwachsende Italiener es mit seinem ebenso herrischen wie respektlosen Vater zum Schrotthändler, wo ein paar Euros warten. Womöglich wird er auch in den kommenden Jahren nichts anderes tun. Doch ihm ist anzumerken, dass in ihm andere Ideen schlummern. Wenn er nur wüsste, wie man oder frau aus diesem armseligen und festgefahrenen Leben ausbricht!

Ein paar Kilometer weiter wischt Stanley einen Kirchenboden. Lange, bevor die ersten Gläubigen in den Bänken Platz nehmen. Als Geflüchteter war der Nigerianer über‘s Meer gekommen. Wenigstens hat er eine befristete Aufenthaltsgenehmigung ergattert. Doch hier, irgendwo im kargen und vom wirtschaftlichen Niedergang geprägten Herzen von Sizilien, haben sich viele seiner Hoffnungen, die ihn die Flucht wagen ließen, nicht erfüllt. Der junge Mann ist einer der „Unsichtbaren“, die als billige Arbeitskraft ausgebeutet werden. Sein größter Wunsch: bloß weg von hier!

Suche nach neuen Perspektiven

Stanley und Oscar sitzen gewissermaßen im selben Boot. Der Dokumentarfilm „Il mio corpo“ porträtiert zwei Menschen auf der Suche nach einer neuen Perspektive. Und auch nach ihrer Identität in einem Umfeld, das wenig Zukunft verspricht. Dem aus Norditalien stammenden Regisseur Michele Pennetta ging es aber auch darum, die verborgenen Seiten Siziliens zu zeigen.

So tat er es auch in zwei vorherigen Filmen. Einer davon – „Pescatori di corpi“ – schilderte den Alltag einer Crew von illegalen Fischern und eines Geflüchteten, der an Bord eines verlassenen Bootes lebt. Pennettas Sizilien hat nichts mit den Sehnsüchten von Touristen zu tun. Aber sehr viel mit der Sehnsucht, die größte Insel des Mittelmeeres zu verlassen.

Prekäre Verhältnisse

Wenn die Kamera den Alltag der beiden Protagonisten einfängt, fallen zunächst die Unterschiede auf. Oscar und Stanley scheinen nur wenig gemeinsam zu haben. Oscar lebt in prekären Verhältnissen, doch in der Hierarchie des Prekariats steht er einige Stufen über dem Geflüchteten aus Afrika. „Wenn du deine Arbeit nicht ordentlich machst, hole ich mir einen Schwarzen“, scherzt sein Vater.

Im Verlauf des Films scheinen allerdings einige Parallelen auf. Je mehr die dokumentarische Erzählung die Lebenswelten aufeinander zuführt, desto deutlicher wird, dass der Wunsch nach Selbstbestimmung auch in dieser Welt des kollektiven Stillstandes Raum findet und eine ungeahnte Kraft entfalten kann.

Sie sind keine Helden

Gebannt wartet man darauf, dass sich Stanley und Oscar endlich begegnen. Was hat der eine dem anderen zu sagen? Werden sie sich gegenseitig als Ausgestoßene der Gesellschaft erkennen? Oder ist zwischen ihnen nur Fremdheit?

Der Film bietet einige bedrückende Szenen aus dem Alltag der Abgehängten auf Sizilien. Viele sind so eindringlich, dass man kaum glaubt, dass all das real ist. Immer wieder geraten die Hoffnungen, Antriebe und Aktivitäten der Menschen, um über die Runden zu kommen, in den Mittelpunkt. So vermeidet Pennetta, dass sie wie Opfer der Verhältnisse erscheinen.

Mit Helden haben sie allerdings auch wenig zu tun. Vielleicht träumt Oscar davon, einer zu sein, wenn er mit dem Fahrrad durch die hügelige Ödnis kurvt, die als Kulisse für eine Zukunftsdystopie oder auch einen Oldschool-Western dienen könnte.

Eine komplizierte Liebe

Überhaupt spielt die Landschaft eine tragende Rolle in einem Film, den der Verleih als „Liebeserklärung“ an Sizilien zu verstehen wünscht – es muss wohl eine komplizierte Liebe sein. Besonders in jenen endlosen Momenten, wenn Oscar im Transporter über endlose Huckelpisten holpert, wird das Geworfensein der und des Menschen in diesem besonders gebeutelten Teil des ohnehin krisenerprobten Italiens deutlich.

Die wechselhaften Eindrücke von schroffer Schönheit verstärken die allegoriehafte Wirkung zweier Charaktere, die in einer von Migration und Stagnation geprägten Gesellschaft an völlig verschiedenen Punkten stehen. Und die dennoch viel mehr teilen, als ihnen bewusst ist. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist für die Zuschauenden verschlungen. Nicht nur im ästhetischen Sinne lohnt es sich, ihn zu gehen.

Info: „Il mio corpo“ (Schweiz/Italien 2020), ein Film von Michele Pennetta, 80 Minuten, OmU.
https://www.salzgeber.de/corpo
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