Filmtipp „Hive“: Wie ein starker Feminismus den Kosovo verändert
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Wenn einen die Vergangenheit beherrscht, fällt ein Neuanfang schwer. Doch wie sollen Menschen mit dem Vergangenen abschließen, wenn sie nicht wissen, wo ihre engsten Angehörigen abgeblieben sind? Wenn sie tagtäglich damit rechnen müssen, sterbliche Überreste identifizieren zu müssen?
Genauso erging es vielen Frauen im Kosovo nach den von serbischen Miliz*innen an Kosovo-Albaner*innen verübten Massakern Ende der 90er-Jahre. Eine davon ist Fahrije. Der Ehemann der zweifachen Mutter wird seit Kriegsende vermisst. Wie so viele andere Männer in ihrem Dorf. Neben der Ungewissheit wird die Familie auch von Geldnöten geplagt.
Auch für Fahrije sind die Schrecken des Krieges stets präsent. Dennoch ist sie gezwungen, nach vorne zu schauen. Eines Tages beschließt sie, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und mit dem Verkauf von hausgemachter Paprikapaste namens Ajvar in der Stadt eigenes Geld zu verdienen.
Emanzipation über den Führerschein
Am Anfang dieses Weges steht zunächst der Führerschein. Dafür, dass Fahrije diesen Pfad beschreitet, wird sie nicht nur von der patriarchalischen Dorfgemeinschaft, sondern auch von ihrer Familie misstrauisch und voller Verachtung beäugt.
Doch Fahrije lässt sich nicht einschüchtern. Schon bald wagen es weitere Frauen, ihr bei diesem Unternehmen zu helfen. Mit jedem kleinen Erfolg wachsen Missgunst und Wut bei jenen, die diese Eigenständigkeit verabscheuen. Aus Sicht des konservativen Mainstreams gehören diese einsamen Frauen nicht ins Geschäftsleben, sondern als trauernde Witwen an den Herd.
Das Spielfilmdebüt der kosovarischen Regisseurin und Drehbuchautorin Blerta Basholi beruht auf der Lebensgeschichte von Fahrije Hoti. Während des Kosovo-Krieges wurde ihr Mann als vermisst gemeldet. Gemeinsam mit anderen verwitweten und alleinstehenden Frauen baute sie einen Betrieb auf, der landwirtschaftliche Produkte verkauft. Heute ist sie eine erfolgreiche Unternehmerin und vor allem wegen ihres Einsatzes für Frauenrechte im gesamten Kosovo bekannt.
Auch Basholi hat Krieg und Elend aus nächster Nähe erlebt. 1983 im Kosovo geboren und aufgewachsen, lebte sie mit ihrer Familie als Geflüchtete vorübergehend in Deutschland. Aus Fahrije Hotis wahrer Lebensgeschichte formte sie ein um fiktive Elemente angereichertes und atmosphärisch dichtes Drama. Dieses folgt ausschließlich der Perspektive der Protagonistin und weiterer, zunehmend selbstbewusst und furchtlos auftretender Frauen. Insofern ist Kosovos offizielle Oscar-Einreichung als feministischer Film zu verstehen.
Eiserner Wille als Überlebensinstikt
Die angespannte gesellschaftliche Lage im Nachkriegskosovo wie auch die gewaltsame Vorgeschichte der Gegenwart werden nur angedeutet, schwingen aber immer mit. Oft bleibt es den Zuschauenden überlassen, den Kontext wie auch konkrete Situationen zu entschlüsseln.
Nicht viel anders ist es mit der inneren Entwicklung der Figur Fahrije. Meist geht sie mit angespannt-stoischer Miene durchs Bild. Dass ihr eiserner Wille ihrem Überlebensinstinkt entspringen und zugleich einen Akt der Verzweiflung darstellt, offenbart sich erst nach und nach. Gesprochen wird nur das Nötigste.
Umso mehr fällt auf, wenn Fahrije aus diesem herben und kargen Schema, das immer auch von einem tiefen Schmerz zeugt, ausbricht und ihr Mienenspiel emotionalen Regungen für kurze Zeit Raum gibt. Zum Beispiel in dem Moment, als der Chef des örtlichen Supermarktes eine Testportion Ajvar verkostet und das Start-up der Frauen den entscheidenden Schub erhält.
Oscar-Nominierung und europäischer Filmpreis
Es sind nicht nur, aber gerade diese Momente, die „Hive“ – der Film landete auf der Shortlist für den Europäischen Filmpreis – zu einem intimen Porträt einer Frau machen, die mit einfachsten Mitteln überkommene gesellschaftliche Verhältnisse auf den Kopf stellt. Mit dokumentarischer Präzision fängt Basholi einen Alltag zwischen Aufbruch und Stagnation ein, in dem immer wieder die kriegerische Vergangenheit Einzug hält.
Hauptdarstellerin Yllka Gashi liefert eine fast schon beängstigend intensive Glanzleistung ab. Mit ihrem zurückgenommenen Spiel macht sie die Komplexität ihrer Rolle umso deutlicher. Denn während Fahrije sich in ein neues Leben aufmacht, drängt sich das alte Leben, das mit dem Verschwinden ihres Mannes so brutal endete, immer wieder in ihr Bewusstsein. Auch daher, weil parallel zum Aufbau ihrer emanzipatorischen Genossenschaft die Suche nach den vermissten Männern aus dem Dorf weitergeht.
Der Film zeigt weniger den Zauber, sondern die Fragilität des Neuanfangs. Dass dieser dennoch Fahrt aufnimmt, stiftet Hoffnung.
„Hive“ (Schweiz, Albanien, Nordmazedonien, Kosovo 2021), ein Film von Blerta Basholi, mit Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi, Kumrije Hoxha u.a., 84 Minuten. FSK ab 12. Im Kino.