Filmtipp „Hedis Hochzeit“: Tunesien im Wandel
Sonnendurchflutet ist dieses Land, doch überall machen sich die Schatten der Auflösung breit. Strände, Hotelspeisesäle und Straßen sind leergefegt, auch in den Fabriken ist nicht viel los. Geradezu beiläufig macht der tunesische Regisseur Mohamed Ben Attia die existenzielle Krise deutlich, in der seine Heimat fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling steckt. Terrorismus, Korruption, eine anhaltende Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit machen der jungen Demokratie zu schaffen, rauben dem Aufbruch den Atem.
„Hedis Hochzeit“ – von der Mutter arrangiert
In dieser Welt macht sich der Mittelklasse-Sprössling Hedi auf in ein neues Leben. Heiraten soll er Khedija und mit ihr in die neue Wohnung ziehen. Doch ist es wirklich sein Leben? Arrangiert hat all dies seine Mutter, ganz im Sinne der Tradition. Hedi nimmt es stoisch. Scheinbar gleichgültig erträgt er die neueste Idee seines Chefs: Mitten in der heißen Vorbereitungszeit der Vermählung schickt er den Vertreter in eine Stadt am Meer, um dort Autos zu verkaufen. Kein leichtes Unterfangen in diesen Zeiten. Mit der üblichen Pedanterie und Zurückhaltung schultert Hedi auch diese Bürde. Der 25-Jährige scheint obendrein ganz froh zu sein, dem Trubel zu Hause zu entkommen. Erstes Anzeichen einer Auflehnung gegen die Konvention?
Nach der Affäre wird alles anders
„Hedis Hochzeit“ erzählt von inneren Widerständen, sich den Chancen und Gefahren eines neuen Wegs zu stellen. Doch Hedi hat ihn längst betreten, mag es ihm auch nur bedingt bewusst sein. Was fehlt, ist ein Aha-Erlebnis. Dies beschert ihm die Animateurin Rim. Schon bei der ersten Begegnung im Hotel, wo Hedi den Feierabend totschlägt, wird deutlich, dass nun einiges anders wird. Nicht nur äußerlich ist die fünf Jahre ältere und weltgewandte Touristenbetreuerin das genaue Gegenteil von Khedija, deren Erscheinung ebenso makellos wie angepasst ist. Die leidenschaftliche Affäre bringt die Wende: Rim weckt in ihm den Impuls, endlich seine Träume zu leben. Wird er, wie sein Bruder, ebenfalls nach Frankreich gehen? Oder ist die Bindungskraft der Tradition, die seine Mutter als Familienoberhaupt vergleichsweise jovial und undogmatisch vertritt, am Ende doch zu groß?
Durchgehend fesselnd
In Hedis persönlicher Geschichte spiegelt sich die diffuse Lage in Tunesiens wider. Wer mag nach dem erneuten Machtwechsel von Ende August schon sagen, auf welche Route sich das Land mittelfristig begibt? Doch auch wenn man diese Verbindung zur realen Welt ausblendet, fesselt „Hedis Hochzeit“ durchgehend. Zum Einen, weil der unaufgeregte, langsame Erzählfluss geschickt mit Erwartungen spielt. Weil klar ist, dass das eingefrorene Dasein, das es den jungen Mann, der nebenbei Comics zeichnet und auf den Durchbruch im Ausland hofft, eigentlich tödlich langweilt, geradezu nach einem Ausbruch verlangen muss. Und weil die Auftretenden immer wieder für eine Überraschung gut sind. So geht es beim sich abzeichnenden Konflikt mit der Familie weniger um Konservatismus und Religion im engeren Sinne, sondern darum, über die Köpfe der jungen Menschen hinweg Entscheidungen für deren Leben zu fällen. Immer wieder wird das Suchende in Hedi in wirkungsvollen Bildern inszeniert.
Silberner Bär für den Hauptdarsteller
Dazu kommt das, was er findet. Während der junge Mann anfangs wie ein Roboter seine Krawatte bindet oder zwischen Bruder und Mutter hockt, taut er nun endlich auf, wenngleich dramatische Gefühlsaufwallungen auch jetzt rar sind. Umso subtiler lässt sich der Wandel an seiner Gestik und Mimi ablesen. Für diese Leistung bekam der Film bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für den besten Hauptdarsteller. Hedi ist kein Held im klassischen Sinne, doch macht diese Figur all jenen Mut, die eigenen Sehnsüchte und Grenzen zu erforschen. Attia sagt: „Meine Absicht ist es, den Schleier zu lüften vom Leben dieser jungen Menschen fünf Jahre nach der Arabellion, wenn sie versuchen, ihren Weg zu finden, und dabei manchmal ein paar Schritte vorwärts machen, manchmal ein paar Schritte zurück.“ Klar ist: Diese Reise kennt kein Ende. Die Menschen in Tunesien haben noch so manches Wegstück vor sich.
Info:
„Hedis Hochzeit“ (Tunesien/ Belgien/ Frankreich/ Katar/ Vereinigte Arabische Emirate 2016), ein Film von Mohamed Ben Attia, mit Mahjd Mastoura, Rim Ben Messaoud, Sabah Bouzouita u.a., OmU, 89 Minuten.
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