Kultur

Filmtipp „Geschlechterkampf“: Nie mehr Objekt für Männer sein

Es ist ein wilder Trip: Anhand der Geschichte einer Schauspielerin beleuchtet der Film „Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats“ das Thema Gleichberechtigung. Die Mischung aus Farce und Doku basiert auf Erfahrungen der Hauptdarstellerin.
von ohne Autor · 4. August 2023
Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus: Schauspielerin Marga (Margarita Breitkreiz) rennt gegen mächtige Strukturen an.
Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus: Schauspielerin Marga (Margarita Breitkreiz) rennt gegen mächtige Strukturen an.

Marga erlebt mal wieder eine demütigende Situation. Die Schauspielerin betritt eine Berliner Theaterbühne. Sie ist zum Vorsprechen gekommen. Solche Angebote sind für die 42-Jährige rar geworden. Anstatt ein ernsthaftes Casting zu starten, wird der Regisseur provokant und zudringlich. Die Kandidatin sagt ihm die Meinung: mit einem kräftigen Tritt zwischen die Beine.

Nie wieder vor einem Mann kapitulieren

Spätestens jetzt ist Marga klar: Sie will nie wieder vor dem Willen eines Mannes kapitulieren. So macht sie sich auf den Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Wie dieses Leben aussehen soll, steht ihr nur schemenhaft vor Augen. Das gilt auch für die Antwort auf die Frage, wie sie die von Männern dominierten Strukturen gerade im Kulturbetrieb überwinden will. Wut, Mut und Entschlossenheit können allerdings ein guter Motor für eine wilde Reise mit ungewissem Ausgang sein. 

„Wild“ kommt einem auch in den Sinn, wenn man den Film „Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats“ mit einem Wort beschreiben will. Es charakterisiert Margas Weise, sich in das Abenteuer der Selbstermächtigung zu stürzen. Zugleich umschreibt es das ästhetische und dramaturgische Konzept dieser Mischung aus Dokumentarfilm, Farce und Essay.

Radikal gegen das Patriarchat

„Unsere Doppelbelastung heißt Patriarchat und Kapitalismus“: Dieser Satz einer Feministin bildet den Kern von Margas Protest und der filmischen Erzählung. Es ist eines von vielen von Marga ans Publikum gerichteten Zitaten mit mal mehr und mal weniger radikalen Forderungen nach mehr Gerechtigkeit, nicht nur zwischen den Geschlechtern oder sexuellen Identitäten.

Margas Alltag füllt das Zitat mit Leben. Die Möglichkeiten, die ihr auf dem Arbeitsmarkt offeriert werden, haben mit ihren Qualifikationen nichts zu tun. Ein Berliner Immobilienhai, für den es ein reales Vorbild gibt, kündigt ihr die Wohnung, um sie profitabel weiterzuverkaufen. Auch damit will sie sich nicht abfinden. Rastlos tingelt sie durch Berlin und tauscht sich mit Frauen aus, die von den herrschenden Verhältnissen ebenfalls genug haben. Immer wieder durchlebt sie zwischenmenschliche Grenzerfahrungen.

Ungewolltes Korsett, von anderen ersonnen

Margas Leben hat viel mit den Erfahrungen von Hauptdarstellerin Margarita Breitkreiz gemein. Mit dem Schriftsteller und Filmemacher Sobo Swobodnik – unter anderem bekannt für das (ebenfalls) autobiografisch inspirierte Werk „Klassenkampf – Porträt einer sozialen Herkunft“ – schrieb sie das Drehbuch. Die 43-Jährige gehört zum Ensemble des Maxim Gorki Theaters in Berlin, spielte an der Volksbühne Berlin und vielen anderen Häusern, darunter in vielen klassischen Stücken. 

Ein größeres Publikum dürfte sie allerdings wegen Rollen in Fernsehen und Kino kennen, die sie ihrer russlanddeutschen Herkunft und ihren Wurzeln in der Sowjetunion zu „verdanken“ hat. Für ihre Hauptrolle in „Marija“ – einem Drama über den Neuanfang einer Ukrainerin im Ruhrgebiet – wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Derlei – darunter wohl auch klischeehafte – Besetzungen seien für die Schauspielerin zu einem ungewollten Korsett geworden, das andere für sie ersonnen haben, wie sie sinngemäß in einem Statement durchblicken lässt. Auch das kann als Objekterfahrung gewertet werden.

Vom System zum Objekt degradiert

Auch um solche Prozesse und die Strukturen dahinter geht es in „Geschlechterkampf“. In thesenartigen Episoden durchleuchtet der Film Geschlechterfragen (nicht nur, aber gerade im Kulturbetrieb) und ein System, das Marga zum Objekt zu degradieren trachtet, von vielen Seiten. Dabei setzen die Macher*innen ganz bewusst auf Klischees und Übertreibung, um uns wachzurütteln – manchmal aber auch, um uns zum Lachen zu bringen.

Realität und Fiktion gehen ineinander über. Bei dem ekstatischen Nebeneinander von Groteske und Analyse ist es nicht immer einfach, den Überblick zu bewahren oder sich zu vergegenwärtigen, an welchem Punkt die Erzählung gerade steht. Für zumindest etwas Orientierung sorgen die Zitate von Feminist*innen und Kulturwissenschaftler*innen: Sie schlagen immer wieder den Bogen zum geistigen Rahmen des Ganzen und ergänzen die Eindrücke und Erkenntnisse der Protagonistin. 

Überraschende Denkanstöße, erfrischendes Format

Ferner trifft Marga mitunter auf Frauen, die sich zu dem Thema im echten Leben zu Wort melden, etwa die Publizistin Teresa Bücker oder die Rapperin und Autorin Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray.

„Geschlechterkampf“ ist vielleicht nicht der große filmische Wurf, um die breite Masse für Fragen der Gleichstellung zu begeistern. Wer sich auf dieses erfrischend unorthodoxe Format einlässt, wird allerdings mit bisweilen überraschenden Denkanstößen und Perspektiven belohnt, die unterstreichen, was im Argen liegt. Nicht trotz, sondern gerade wegen der hemmungslosen und humorvollen Zuspitzungen.

Info: „Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats“ (D 2023), Regie: Sobo Swobodnik, Drehbuch: Margarita Breitkreiz, Sobo Swobodnik, mit Margarita Breitkreiz, Alexander Scheer,Teresa Bücker, Martin Wuttke, Reyhan Şahin, Artemis Chalkidou u.a.
www.filmgalerie451.de
Ab 3. August im Kino

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