Kultur

Filmtipp fürs Heimkino: Schatten über der jungen DDR

„Und der Zukunft zugewandt“ erzählt von der sozialistischen Utopie auf deutschem Boden. Der Film mit Alexandra Maria Lara in der Hauptrolle erklärt, warum der SED-Staat scheiterte, stellt aber andere Fragen in den Mittelpunkt.
von ohne Autor · 17. April 2020
Ein bisschen Hoffung: Heimkehrerin Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) und Krankenhausarzt Konrad Zeidler (Robert Stadlober) in dem Film „Und der Zukunft zugewandt".
Ein bisschen Hoffung: Heimkehrerin Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) und Krankenhausarzt Konrad Zeidler (Robert Stadlober) in dem Film „Und der Zukunft zugewandt".

Sie bauten mit an der sozialistischen Utopie in der DDR, doch über ihre Erfahrungen im sowjetischen Exil durften die Heimgekehrten nicht sprechen. Das subtile Drama „Und der Zukunft zugewandt“ erzählt von einem düsteren Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Jetzt ist der Film mit Alexandra Maria Lara in der Hauptrolle fürs Heimkino verfügbar.

DDR-Sozialismus nach Sowjet-Lager

Wieso kommt sie erst jetzt? Antonia Berger beantwortet die Frage des Arztes, der ihre lungenkranke und an schweren Erfrierungen leidende Tochter untersucht, mit einem verstörten Blick. Erst wenige Minuten zuvor sind die beiden gemeinsam mit weiteren Frauen in Fürstenberg (DDR) angekommen. Mehrere Jahre hatten sie in einem sowjetischen Zwangsarbeiterlager verbracht. Unverhofft kamen sie frei.

In dem Städtchen an der Oder fangen die Remigrantinnen neu an. Antonia erhält einen verantwortungsvollen Posten als Leiterin des „Hauses des Volkes“ und eine Wohnung. Wir schreiben das Jahr 1952. Antonias neue alte Heimat macht sich auf in eine propagandistisch überhöhte Zukunft. SED-Walter Ulbricht verkündet den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Im gleichen Jahr wird beschlossen, aus Fürstenberg die sozialistische Musterstadt Stalinstadt (1961 umbenannt in Eisenhüttenstadt) zu machen. Ein Jahr später stirbt Sowjetherrscher Josef Stalin.

Angst vorm Klassenfeind

Jegliche Hoffnungen auf eine echte Liberalisierung des Systems werden allerdings enttäuscht. Der Aufbruch hat für Antonia und ihre Leidensgenossinnen einen hohen Preis. Über ihre Lagerzeit dürfen sie nicht sprechen. Bei der örtlichen Parteileitung unterschreiben sie eine Erklärung. Zu groß ist die Angst des Regimes, Berichte über das Leiden von Exilanten in der Hand ihrer Moskauer Genossen könnten für Unmut in der Bevölkerung sorgen und vom Klassenfeind ausgeschlachtet werden. Nicht nur Antonia – als einziges Mitglied eines kommunistischen Musikensembles überlebte sie Stalins Säuberungen –, sondern die gesamte Republik startet mit einer gewaltigen Hypothek in die neue Zeit.

Die Geschichte der DDR wird im deutschen Film meist mit dem Fokus auf die Stagnation und Krise in den 80er-Jahren erzählt. Letztendlich zeigt auch „Und der Zukunft zugewandt“ auf, warum der SED-Staat am Ende scheiterte. Zumindest lässt sich dieser Zusammenhang herstellen. Im Mittelpunkt stehen aber andere Fragen. Zum Beispiel: Wie gelingt es der überzeugten Kommunistin Antonia, mit der verordneten Lüge – ganz zu schweigen von den traumatischen Lagererfahrungen – zu leben und dennoch aus voller Kraft und Überzeugung die neue Republik von Stalins Gnaden mit aufzubauen? Wie tragfähig ist dieser schmerzhafte Kompromiss auf Dauer?

Innere Konflikte bleiben ungelöst

Regisseur und Drehbuchautor Bernd Böhlich richtet den Erzählfaden ganz auf das Innenleben der Protagonistin. Doch wie macht man Sprachlosigkeit erlebbar? Das Ergebnis ist nicht nur angemessen, sondern sehenswert: Wir erleben Antonia in einer Art Schwebezustand: Bravourös stürzt sie sich in die sozialistische Kulturarbeit, doch immer wieder gibt es Momente, in denen die Erfahrungen der letzten Jahre wieder da sind. Böhlich versucht gar nicht erst, Antonias innere Konflikte zu lösen. Wo es nichts zu sagen gibt oder nichts gesagt werden darf, wird eben auch nichts gesagt. So wie in der Szene beim Arzt.

Zumindest geht das so über weite Strecken. Man ahnt, dass Antonia die Fassade nicht ewig wahren kann. Schließlich gibt es in dieser Welt einer gelebten Utopie, die dank der sozialistisch-klassizistischen Architektur auch optisch stets präsent ist, nicht nur ehrlich gemeinte Solidarität, sondern auch Verrat. Böhlich zeigt außerdem, wie verschlungen die Pfade zwischen diesen Extremen sein können. Dementsprechend trägt der Film gelegentlich auch gefälligere Züge, etwa, wenn sich Antonia in den besagten Klinikarzt verliebt. Dass es keinen Bruch zwischen der Charakterstudie und dem, wenn man so will, Gefühlskino gibt, ist auch dem akzentuiertem Spiel von Hauptdarstellerin Alexandra Maria Lara zu verdanken.

DDR-Historie als behutsames Drama

Anders als der auf die DDR-Hymne verweisende Titel vermuten lässt, ist dieses sehr behutsam inszenierte Drama nicht darauf angelegt, den SED-Staat angesichts der besagten Hypothek als Mogelpackung zu diffamieren. Vielmehr geht es darum, einen Blick hinter die Kulissen jener Aufbaujahre zu werfen. Schicksale, wie sie Antonia erdulden mussten, zählen zu den besonders krassen Dingen, die in dieser unterbelichteten Sphäre zu entdecken sind. Doch sollte man den realen Kern dahinter nicht vergessen. Böhlich stieß schon zu DDR-Zeiten auf die Lebensgeschichte der Schauspielerin Swetlana Schönfeld, die Antonias Mutter darstellt. 1951 kam sie als Tochter einer überzeugten Kommunistin im sibirischen Lager Kolyma zur Welt. Selbstredend war an eine Verfilmung seinerzeit nicht zu denken.

Die sparsamen Dialoge dieses bis in die Nebenrollen hervorragend besetzten Films ermöglichen es den Zuschauenden, sich selbst ein Bild von jener Zeit zu machen. Ein Übriges tut die sorgfältige Ausstattung der mustergültigen sozialistischen Umgebung, selbst wenn sie mitunter museal anmutet. Doch all die Konflikte wirken bis in die Gegenwart hinein.

 

„Und der Zukunft zugewandt“ (Deutschland 2019), Buch und Regie: Bernd Böhlich, mit Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober, Stefan Kurt, Barbara Schnitzler u.a. Jetzt auf DVD und Blu-ray sowie als Video on Demand unter www,neuevisionen.de

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