Kultur

Filmtipp „Freie Räume“: Die Geschichte einer vergessenen Jugendbewegung

Selbstverwaltete Jugendzentren waren ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Aufbruchs in den Siebzigern. Der Dokumentarfilm „Freie Räume“ beleuchtet ein wenig beachtetes Thema, das dieses Land bunter und toleranter gemacht hat.
von ohne Autor · 25. September 2020
Die erste Generation: Der Aktivist und Musiker Bernd Köhler bei einer Jugendzentrumsdemonstration in Mannheim.
Die erste Generation: Der Aktivist und Musiker Bernd Köhler bei einer Jugendzentrumsdemonstration in Mannheim.

Sie wollten Räume, Geld vom Staat und dass sich niemand einmischt. Und sie setzten fort, was die Neuen Sozialen Bewegungen und die 68er wenige Jahre zuvor angestoßen hatten: Anfang der 70er-Jahre wurde die Bundesrepublik von der Jugendzentrumsbewegung erfasst. Von Flensburg bis Rosenheim machten sich junge Leute auf, um sich Orte zu erkämpfen, an denen sie frei von Konventionen und kommerziellen Interessen ihre Freizeit miteinander verbringen können.

Dieser Aufbruch in Richtung einer eigenständigen Jugendkultur hat dieses Land bunter und toleranter gemacht. Gerade deswegen sind selbstverwaltete Jugendzentren vielen politischen Kräften rechts oder ganz weit rechts der Mitte bis heute ein Dorn im Auge. Immer wieder werden die Treffpunkte als Ausgangspunkte von Gewalttaten und als Hochburgen des Linksextremismus verbrämt. Dafür genügt es oft schon, dass sich die Betreiber*innen offen gegen Nazis positionieren. Fakt ist: Was vor gut 50 Jahren erkämpft wurde, muss immer wieder verteidigt werden

Wichtiges Kapitel gesellschaftlicher Öffnung

In „Freie Räume“ geht der Filmemacher Tobias Frindt dieser Geschichte, die ein wichtiges Kapitel der gesellschaftlichen Öffnung in den 70er-Jahren darstellt, nach und fragt, was davon geblieben ist. Zeit dafür wurde es, denn bislang ist das Thema – auch und gerade mit Blick auf die Folgen der Studentenrevolte von 1967/1968 – unterbelichtet. Frindt hält sich mit abstrakten Theorien zurück und geht der Sache an den konkreten Schauplätzen des Geschehens nach. Zwischendurch zeichnet der Historiker David Templin, Autor eines Buches zum Thema, die großen Linien nach.

Im Mittelpunkt steht das JUZ Mannheim. Überregional ist es als Ort für Punk- und Hardcorekonzerte bekannt. Doch der Weg hin zu einer Institution alternativer Kultur war lang und anfangs begleitet vom Widerstand weiter Kreise im Stadtparlament und von Auseinandersetzungen mit der Polizei. Anhand der bewegten Geschichte des JUZ macht Frindt deutlich, was es bedeutete, in den 70er-Jahren etwas einzufordern, was einem qua Jugendwohlfahrtsgesetz zustand. In diesem engen Fokus auf das Geschehen in Mannheim liegt die Stärke des Films.

Vor der Kamera äußern sich Aktivistinnen und Aktivisten, die das JUZ aufgebaut haben. Diesen Interviewsequenzen werden Filmausschnitte aus dem JUZ-Archiv  gegenübergestellt: Die Aufnahmen von Demonstrationen und Sit-Ins geben einen Eindruck von jener Zeit, als ein unabhängiges Jugendzentrum allenfalls als Idee in den Köpfen einiger unerschrockener junger Erwachsener existierte, die mit ebenso viel Lärm wie Humor auf der Straße für ihr Anliegen warben. In den Gesprächen wird zudem deutlich, was aus den Aktivist*innen von einst geworden ist.

Hochburgen im Südwesten der Republik

Ursprünglich war „Freie Räume“ als reine Doku über das JUZ angelegt. Frindt erweiterte die Perspektive der als Bachelorarbeit gestarteten Produktion unter anderem auf Einrichtungen im Saarland und in Sachsen. Nicht ohne Grund: In dem Bundesland an der Grenze zu Frankreich hatte die Jugendzentrumsbewegung Mitte der 70er-Jahre – ebenso wie in Hessen und dem nördlichen Baden-Württemberg – besonders viele Erfolge vorzuweisen. Und in Sachsen sind freie Jugendzentren bis heute ein wichtiges – und mancherorts das einzige – Standbein im Kampf gegen rechts.

Diese Passagen bleiben allerdings blass. Was auch daran liegt, dass die ausgedehnten Interviews mit den Menschen, die hinter diesen Einrichtungen stehen, kaum durch weitere Einblicke in die Lage vor Ort ergänzt werden. Überhaupt hätte es dem Film gutgetan, den Blick etwas zu weiten und Stimmen aus anderen gesellschaftlichen und politischen Milieus mehr Platz einzuräumen. Allerdings kann man Frindt auch nicht vorwerfen, sich zum distanzlosen Sprachrohr der Jugendzentren zu machen. Unterm Strich ist „Freie Räume“ ein sehr nüchtern erzählter Film, der an den richtigen Stellen spüren lässt, wie viel Leidenschaft und Emotion hinter dem Gegenstand seiner Betrachtung steckt.

Info: „Freie Räume“ (Deutschland 2019), ein Film von Tobias Frindt, 102 Minuten,

https://freieraeume-film.de/

Im Kino

 

 

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