Filmtipp „Fieber“: Im Rausch der Kriegsbilder
barnsteiner
Vielen Menschen gelingt es erst in den späten Lebensjahren, sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen. Was stellen diese Geister mit einem an, wenn man die Hemmnisse ablegt und nach ehrlicher Analyse drängt? Elfi Mikeschs Film, der 2014 auf der Berlinale lief, dreht sich um ein Thema, das seit einigen Jahren die Forschung, aber auch eine breite Öffentlichkeit beschäftigt. Welche Spuren hinterlassen der Krieg und das Töten in den Soldaten und ihren Familien? Wie finden die, die unendliches Leid ertragen oder angerichtet haben, zurück in ein „normales“ Leben? Das Thema „Kriegskinder“ füllt ganze Regale in Buchhandlungen.
Wie Kriege Menschen deformieren
„Fieber“ trägt durchaus autobiografische Züge, doch Mikesch (geboren 1940) geht es nicht in erster Linie um die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte. Sie will zeigen, wie Kriege Menschen deformieren. Es ist Warnung und Anklage zugleich. Damit schlägt sie einen Bogen in die Gegenwart. Größtenteils spielt das Drama allerdings in den 50er-Jahren. Im österreichischen Judenburg, wo auch Mikesch aufwuchs, lebt die zwölfjährige Franziska mit Vater, Mutter und Bruder. Besser gesagt: Der Vater, gespielt von Martin Wuttke, lebt sein eigenes, vom Rest der Familie abgekehrtes Leben.
Wenn er nicht gerade Schweinehälften durch die Gegend fährt, gibt er sich, im kleinen Schafzimmer auf und ab laufend oder auf den knarrenden Dielen liegend, den Erinnerungen an seine Zeit bei der Fremdenlegion hin. Was er damals in Nordafrika und im Nagen Osten getan hat, wird nur kryptisch entschlüsselt. Dass eine große Last auf ihm liegt, zeigen seine unvermittelten Wutausbrüche und ein ausgeprägter Hang zum Schweigen. Die ständigen Malaria-Rückfälle wirken wie eine Reaktion auf die innere Bürde.
Suche in Serbien
Franziska versucht, dies fremde und merkwürdige Innenleben ihres Vaters zu ergründen, indem sie immer wieder in inniger Versunkenheit die alten Legionärs-Fotos (sie stammen übrigens von Mikeschs Vater) betrachtet, denen Geschichten entströmen, die sie in ihren Bann ziehen. Mit zunehmenden Alter verlangen diese Geschichten nach Antworten. Etwa auf die Frage, wie Menschen, denen in der Kirche gesagt wird „Du sollst nicht töten“, in die Schlacht ziehen können. Als Erwachsene macht sie sich auf nach Novi Sad, den Geburtsort ihres Vaters, von dem er ihr so oft erzählt hat. Immer wieder hat er ihr davon erzählt.
In der serbischen Stadt hofft sie, den Schlüssel zu all den Belastungen zu finden, die der so introvertierte wie tyrannische Vater in die Familie getragen und damit ihrem Leben einen Stempel aufgedrückt hat. In parallel gegeneinander geschnittenen Sequenzen begegnen wir der jungen (Carolina Cardoso) und der alternden Franziska (Eva Mattes), die wohl nicht ganz zufällig Fotografin geworden ist. Der Trip nach Südosteuropa bildet die Klammer.
Ein versöhnliches Ende
Wer sich dieser Geschichte als eine Abfolge von emotionsgeladenen Konfrontationen erwartet, wird überrascht sein. Mikesch wählte eine handlungsarme Erzählweise, in der die Fotos des Vaters in der Fantasie des Kindes zum Leben erwachen und in auch die Sehnsucht nach der großen weiten Welt, jenseits der häuslichen Enge, die auch eine geistige ist, weckt. Eher findet sich der Zuschauer in einer assoziativen Spurensuche wieder: Diese hat mehr mit einem Schwebezustand und seinen gefährlichen Untiefen zu tun, anstatt einer klaren Richtung zu folgen. Auch das ebenso rätselhafte wie versöhnliche Ende ergibt sich eher unvermittelt.
Wenn Franziskas Versuch, die Dämonen zu entschlüsseln, das zentrale Experiment ihres Leben ist, so hat Mikesch dafür die entsprechende experimentelle, wenn nicht gar suchende Form gefunden. Als eine der ersten Kamerafrauen Deutschlands hatte sich die vielfach ausgezeichnete Österreicherin in den 70er-Jahren einen Namen vor allem im Autorenfilm, unter anderem an der Seite Rosa von Praunheims, einen Namen gemacht. Später knüpfte sie als Dokumentarfilmerin mit experimentellen Formen daran an. Sind auch die in der Gegenwart verorteten Szenen mit Eva Mattes im Vergleich mit dem intensiven Kammerspiel über die Kindheit eher dröge bis beiläufig geraten: Die suchende Form wird diesem Thema mehr als gerecht.
„Fieber“(Luxemburg/Österreich 2014), ein Film von Elfi Mikesch, mit Martin Wuttke, Eva Mattes, Carolina Cardoso u.a., 80 Minuten. Jetzt im Kino