Kultur

Filmtipp "Everyday Rebellion"

von ohne Autor · 12. September 2014
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Ob nackte Tatsachen in der Ukraine oder ein Meer aus Tischtennisbällen in Damaskus: Der gewaltfreie Protest zeigt seit einigen Jahren immer wieder neue und überraschende Gesichter. Der Dokumentarfilm „Everyday Rebellion“ setzt ihnen einen Denkmal.

Ist es vermessen, die Nöte eines verschuldeten spanischen Wohnungsbesitzers mit den traumatischen Erfahrungen syrischer Oppositioneller unter einem gemeinsamen Blickwinkel zu betrachten? Oder kann die, wenn auch unterschiedlich geartete, Ungerechtigkeit, der sich sowohl Menschen im Krisenland Spanien als auch im umkämpften Assad-Reich ausgesetzt sehen, als verbindendes Element zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen gesehen werden?

Mit derlei moralisierenden Betrachtungen hält sich der Film von Arman und Arash Riahi gar nicht erst auf. Jene Verbindung ist die Grundlage von „Everyday Rebellion“. Ihnen geht es um etwas ganz anderes: Zu zeigen, wie sich Menschen weltweit gegen Strukturen wehren, die viele benachteiligen und wenigen nutzen – und zwar völlig gewaltlos. Während in den USA die „99-Prozentigen“ und die Occupy-Bewegung mit neuen Protestformen Manhattan lahmlegten, sorgten in der Ukraine die Aktivistinnen der Frauengruppe Femen mit Nackt-Performances für Aufsehen. In Spanien prangern die „Indignados“ (die Empörten) soziale und wirtschaftliche Schieflagen an – insbesondere die dem EU-Recht zuwiderlaufende Allmacht der Banken gegenüber Schuldnern - und stehen von Räumung bedrohten Menschen zur Seite.

Film

Für immer Todfeind

Und auch in Syrien machten Oppositionelle vor der Eskalation des Bürgerkriegs auf friedliche Weise ihrem Ärger über das Regime und ihrer Perspektivlosigkeit Luft. Wie auch im Ägypten des Arabischen Frühlings und im Iran nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen. Der Femen-Galionsfigur Inna Schewtschenko und einem Aktivisten aus Damaskus kommen die Filmemacher besonders nahe. An beiden Beispielen wird deutlich, wie man auch ohne Gewaltakte zum Todfeind eines Systems wird. Und selbst nach der Flucht ins Ausland nicht frei von Bedrohungen ist.

Doch wie stehen die Erfolgschancen dieser Protestform? Ziemlich gut, behaupten die Riahi-Brüder. Sie lassen ihre These, die letztendlich die Klammer für Berichte von so unterschiedlichen Schauplätzen zwischen New York und Teheran bildet, von verschiedenen Experten unterfüttern. Zum Beispiel von Erica Chenoweth: Nach Auffassung der Professorin für gewaltfreien Protest aus Denver war der friedliche Widerstand zwischen 1900 und 2006 weltweit doppelt so wirksam wie der gewalttätige. Auf welche Daten sich die Erhebung stützt, erfahren wir nicht. Im Film finden sich Verweise auf Mahatma Ghandis Verdienste für Indien oder das Ende der Apartheid in Südafrika. Chenoweth setzt auf den langfristigen Effekt der friedfertigen Rebellion. „Ein erfolgreicher gewaltfreier Protest dauert zweieinhalb Jahre“, sagt sie. „Ist bis dahin nichts passiert, hat die Bewegung ihre Mittel noch nicht voll ausgeschöpft.“

Verzweifelte Sicherheitskräfte

Sollten in Iran, Syrien oder Ägypten also am Ende friedfertige Reformkräfte, getragen vom zivilen Widerstand, die Nase vorn haben? Das scheint momentan schwer vorstellbar. Darin liegt dann auch der Schwachpunkt des Films: Überprüfbare Erfolge des Protests werden kaum geboten – der besagte spanische Wohnungsbesitzer kann am Ende allerdings aufatmen.

Zweifellos nimmt einen die emotionale Kraft des Films für jene Menschen ein, die auch vor scheinbar übermächtigen Gegnern nicht in Schockstarre verfallen. Dafür sorgt auch die atmosphärisch dichte Erzählweise, die hinter den unterschiedlichen Bewegungen immer auch persönliche Schicksale und Visionen offenlegt. Zumal wir auf diese Weise von Wegen des Protestes erfahren, die es nicht in die Nachrichtensendungen schaffen. So haben etwa syrische Oppositionelle vor Jahren die Sicherheitskräfte zur Verzweiflung getrieben, indem sie in unmittelbarer Nähe der Residenz von Präsident Baschar al-Assad Unmengen von beschrifteten Tischtennisbällen übers Trottoir purzeln ließen oder das Brunnenwasser blutrot färbten, berichtet jener syrische Flüchtling.

Zudem finden sich erhellende Gedanken dazu, warum gerade friedlicher Protest einen gewaltbereiten Gegner ins Straucheln bringt  und was dieses Engagement braucht, um seine ganze Wirkung zu entfalten: zum Beispiel Humor, wenn nicht gar Clownerie. „Wenn du Mike Tyson schlagen willst, darfst du nicht mit ihm boxen, sondern musst mit ihm Schach spielen“, sagt Srdja Popovic, der als Mitbegründer der serbischen Widerstandsbewegung „Otpor“ am Sturz von Slobodan Milosevic beteiligt war.

Macht, Ohnmacht und Widerstand: All das hat letztendlich auch mit der Biografie von Arman und Arash Riahi zu tun: Kurz nach der Islamischen Revolution verließen sie mit ihren Familien den Iran in Richtung Österreich. So überrascht es kaum, wenn sie dem öffentlichen Tribunal, mit dem Exil-Iraner in Den Haag an die blutige Seite des Gottesstaates erinnern, breiten Raum lassen. Jene bedrückenden Szenen wirken zugleich wie ein später Triumph der Verfolgten über ihre Peiniger.  Und zwar ausschließlich mit den Mitteln einer Inszenierung.

Info:

Everyday Rebellion – The Art of Change (Österreich/Schweiz 2013), ein Film von Arman und Arash Riahi, OmU, 118 Minuten.

Ab sofort im Kino

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