Filmtipp „Einmal bitte alles“: Glanz und Elend junger Frauen
Generation Praktikum, Generation Y: In den letzten Jahren sind allerlei Etiketten aufgekommen, die die Nöte, aber auch die Ansprüche nachwachsender Arbeitnehmerschichten, vornehmlich aus dem kreativen und akademischen Milieu der Großstädte, beschreiben. Immer ging es dabei auch um die Mühen, seinen Platz im Leben zu finden oder zumindest eine Arbeit, die Sinn stiftet. Und darum, wie sich junge Menschen ausbeuten lassen, um ihren Traum von Selbstentfaltung zu verwirklichen.
Schwierig: gute Laune in der Warteschleife
All das schwingt in Helena Hufnagels Kinodebüt mit. Im Mittelpunkt stehen zwei Endzwanzigerinnen in der Krise – nicht mehr blutjung, aber dafür kreativ, partner- und arbeitslos. Gemeinsam wurschteln sich die Grafikerin Isi und die Journalistin Lotte in ihrer Frauen-WG durchs Leben, sozusagen vereint in einer tristen Warteschleifen-Exstenz in München, wenngleich sie sich davon die Laune nicht verderben lassen.
Wie aus heiterem Himmel wird diese Balance der unerfüllten Sehnsüchte gestört. Lotte kriegt einen Job, verliebt sich und wird schwanger. „Ich glaube, ich habe keinen Platz mehr für Dich“, herrscht sie Isi eines Tages an. Die ist zwar ohnehin vorübergehend ausgezogen, weil ihr in ihrem Zimmer der Schimmel ins Gesicht rieselte, doch nun ist das Aus des Zweierbündnisses brutal real. Sie fühlt sich verraten. Von nun geht es mit ihr erst recht abwärts.
Hoffnung auf die Erfüllung eines Traumes
Hufnagel, die bis vor zwei Jahren an der Hochschule für Fernsehen und Film München studiert hat, versteht ihre Regiearbeit als „Coming-of-Age-Late-Film“. Nach dem Motto: 30 ist die neue 20. Für Isi ist vieles im Leben noch so offen wie ehedem zu Teenie-Zeiten, auch weil feste Stellen für Berufsanfänger in ihrem Metier rar sind. Paradoxerweise erwartet die Gesellschaft, und nicht zuletzt die Elterm, aber trotzdem, dass sie sich etabliert. Isi träumt vom Durchbruch als Graphic-Novel-Zeichnerin, doch kein Verlag interessiert sich für ihre Skizzen.
Und dann verliert sie auch noch ihren erniedigenden Praktikantenjob in einem dieser Verlage. „Ich glaube, mein Leben läuft rückwärts“, stellt sie niedergeschlagen fest. Und beschäftigt sich erstmal damit, irgendwie zu Geld zu kommen und mit den Jungs in ihrer versifften neuen WG abzufeiern. Irgendwann stellt sie fest, dass Selbstmitleid und das Hoffen auf andere sie einer erfolgreichen Künstlerkarriere keinesfalls näherbringen.
Emotionale Tiefe der Protagonisten
Es wäre viel zu hoch gegriffen, diesen Film als Porträt einer Generation oder einer bestimmten Zeit zu verstehen. Dazu ist der Fokus auf das bohèmeartige Miliieu, in dem sich Isi bewegt, viel zu eng, zumal der Kontext, nicht zuletzt die Männer-WG mit dem chaotischen Musiker und dem engagierten Medizinstudenten, manchmal etwas klischeehaft daherkommt. Wohl aber ist ihr Plan aufgegangen, die emotionale Situation von Menschen wie Isi einzufangen. Also das Gefühl, durchaus talentiert oder zumindest gut ausgebildet zu sein, aber keine Gelegenheit zu bekommen, dies zu beweisen. Jene Orientierungslosigkeit, die Isi in die Verzweiflung und einige Exzesse treibt, sei ihr durchaus vertraut, sagte die Filmemacherin in einem Interview.
Wie eine Therapie wirkt der Film dennoch nicht. Dazu bleibt am Ende zu viel offen. Mag das tiefe Tal aus Blut, Schweiß und Tränen, das Isi durchwandert, auch geradezu nach einer erlösenden Katharsis schreien. Isis Weg durch die emotionale Gosse bis hin zum Moment der Besinnung kann dramaturgisch nicht immer überzeugen, wohl aber lebt die Low-Budget-Produktion von einer subtilen und intensiven Bildsprache, die jede Gefühlslage ausdrucksstark wiedergibt.
Flucht ins Partyleben
Die Momente naiver Hoffnung oder der Flucht ins betäubende Partyleben tragen fast schon Züge eines Feel-Good-Movies. Isis Spagat zwischen Resignation und Rebellion ist ein Kraftakt. Hauptdarstellerin Luise Heyer meistert ihn mit einer beeindruckenden Wandlungsfähigkeit und emotionalen Tiefe. Nach ihrem starken Auftritt in Rosa von Praunheims „Härte“ beweist die 32-Jährige erneut, dass sie zu den herausragenden Schauspielerinnen ihrer Generation gehört.
Info: „Einmal bitte alles“ (Deutschland 2017), ein Film von Helena Hufnagel, mit Luise Heyer, Jytte-Merle Böhrnsen, Sunnyi Melles u.a., 85 Minuten.
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