Filmtipp: Eine Doku über Demenz, die Hoffnung macht
Im ersten Moment scheint der alte Mann den Tresen mit dem Wischlappen nur zu streicheln. Wenig später bearbeitet er ihn, als würde er ihn glatt schleifen. Als er sich am Regal den Kopf stößt, wird der kleine Arbeitseinsatz abrupt beendet. Und doch scheint er für einen Moment Zufriedenheit gespürt zu haben. Vielleicht, weil die Erinnerung an sein früheres Leben als Handwerker wieder da war?
Manfred Volz, so heißt dieser Herr, ist einer von rund 1,7 Millionen Demenzkranken in Deutschland. Statistiken legen nahe, dass es in den nächsten Jahren – der demografische Wandel lässt grüßen – deutlich mehr werden. Und dennoch ist die unheilbare Krankheit für viele ein Tabu. Der Filmemacher Stefan Sick wirbt für mehr Offenheit gegenüber dem Thema, das zu den größten Herausforderungen für das Gesundheitssystem zählt.
Wertschätzung gefragt
Sein Dokumentarfilmdebüt „Das innere Leuchten“, das auf der Berlinale erstmalig gezeigt wurde und nun zum Welt-Alzheimertag in die Kinos kommt, will er als Einladung in eine Welt verstanden wissen, die bei allem Leid auch positive Seiten und vor allem Menschen zu bieten hat, die Aufmerksamkeit und Wertschätzung verdienen, anstatt nur bemitleidet und abgeschrieben zu werden.
Dreh- und Angelpunkt des Films ist Manfred Volz. Zwei Jahre lang hat Sick mit der Kamera seinen Alltag in einem Stuttgarter Heim für Demenzkranke begleitet. Es ist ein Alltag, der trotz aller Heimroutine viele Freiheiten bietet. Immer wieder zieht der hochbetagte Familienvater schier endlose Bahnen über die Flure, wirkt dabei stets beschäftigt und aufmerksam, wenngleich die Worte, die ihm in stetem Fluss entströmen, kaum zu verstehen sind. Etwas in ihm arbeitet, wartet auf Anregung, lässt seine Persönlichkeit hervortreten. Vor allem Musik löst überraschende Impulse in ihm aus.
Es ist dies, worin Sick das „innere Licht“ der Heimbewohner erkennt. Sein Film, der keiner wirklichen Erzählstruktur folgt, lässt aber auch den weniger hoffnungsvollen Seiten dieser Gemeinschaft den nötigen Raum. Die Bilder völlig hilfloser Menschen lösen Urängste in uns aus, haben wir dabei doch stets unsere mögliche eigene Zukunft oder die von uns nahestehenden Menschen vor Augen. Doch auch hier fängt Sick überraschende Situationen ein, die Hoffnung machen, weil sie zeigen, wie sehr das Wohlergehen und die Interaktion der Betroffenen davon abhängen, wie intensiv und professionell auf sie eingegangen wird, was vor allem bedeutet: Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Respekt vor der Individualität.
So gesehen zeigt der Film eine Idealsituation, die wenig mit den Horrorszenarien zu tun hat, die zum Einsatz kommen, wenn es um die Situation in deutschen Pflegeheimen geht. Das gilt für das großzügige und lichtdurchflutete Ambiente dieser Einrichtung, aber auch für die Zuwendung, die die Bewohner hier erfahren. Auch das macht diese Produktion so beeindruckend.
Den Augenblick genießen
Mitunter stößt Sicks Erzählweise aber auch an ihre Grenzen. Weil sich die Kommunikation zwischen den Demenzkranken nur schwer erschließen lässt, ist wenig über die Dynamiken innerhalb dieser Gemeinschaft zu erfahren. Zudem gibt es weder Interviews noch einen Kommentar. Der persönliche Hintergrund dieser Alten bleibt weitgehen im Dunkeln, die Individualität ist überwiegend in der unmittelbaren Anschauung zu ergründen. Andererseits wird es einem dadurch erleichtert, die Auftretenden möglichst unvoreingenommen zu betrachten.
Sick kontrastiert die Szenen im Heim, die auch eine Entdeckung der Langsamkeit sind, mit Naturaufnahmen aus der Umgebung. Das Resultat nennt er eine „poetische Interpretation“ des Lebens mit Demenz. Es ist eine Poesie, die deutlich macht, dass es sich lohnt, mit den Erkrankten den Moment zu genießen, wenn die Vergangenheit verblasst.
„Das innere Leuchten“ ( D 2019)
ein Film von Stefan Sick, 95 Minuten.
Kinostart: 21. September