Filmtipp „Die Wache“: So erleben deutsche Polizeikräfte ihren Alltag
2020 Lemme Film GmbH, ZDF
Das Image von deutschen Polizist*innen hat in letzter Zeit mächtig gelitten. Man denke an das unrechtmäßige Vorgehen gegen Journalist*innen bei Demonstrationen in Sachsen, rechtsextremistische Chatgruppen in Nordrhein-Westfalen oder das rechtsextreme Netzwerk in Hessen. Viele fragen sich: Ist die deutsche Polizei ein Hort für Demokratieskeptikeri*innen oder gar Extremist*innen? Oder bringen nur einige wenige einen ganzen Berufsstand in Misskredit?
Die Trutzburg Polizei öffnet sich
Die Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Wolf („Das Menschenmögliche“) wollte es genau wissen. In „Die Wache“ gibt sie einen nahezu ungefilterten Einblick in den Alltag von Polizistinnen und Polizisten. Dabei geht es immer auch darum, zu zeigen, welche Einstellung die Wahrer*innen des staatlichen Gewaltmonopols gegenüber ihrem Beruf und zu den Menschen, mit denen sie zu tun haben, an den Tag legen.
Abseits von PR-Aktionen erscheint die Polizei oft wie eine Trutzburg. Wolf hatte Glück: Nach jahrelangen Versuchen bekam sie das Okay, um hinter den Kulissen zu drehen. Und zwar auf einer Polizeiwache in Münster. Warum ausgerechnet Münster, möchte man meinen. Die westfälische Universitätsstadt gilt nicht gerade als Hotspot für Kriminelle, hat seit dem Amoklauf von 2018 aber immerhin Erfahrung mit einem Verbrechen, das eine ganze Region traumatisierte.
Immer wieder Perspektivenwechsel
Über Monate hinweg begleitete Wolf zwei Teams auf Streife, bei Einsätzen und im Innendienst. Meist werden sie wegen eines Diebstahls, Ruhestörung oder Drogendelikten gerufen. Mit drei Kameras an Bord geht es im Einsatzwagen durch die Stadt. Das ermöglicht immer wieder Perspektivenwechsel, doch meistens sind die Staatsdiener*innen im Bild.
Man kommt ihnen im Wortsinn ganz nah: Stoisch reden sie miteinander über Berufliches und Privates oder geben über Funk rätselhafte Buchstabencodes an die Zentrale durch. Wie aus dem Nichts legen sie den Schalter um und rasen zum Einsatzort. Was wird sie dort erwarten? Die Anspannung gegenüber dem Ungewissen ist ihnen auch bei harmlos wirkenden Anlässen anzumerken
Einsätze mit offenem Ende
Auf der Polizeiwache laufen alle Fäden zusammen. Dort werden die Einsätze gemeinsam ausgewertet und dokumentiert. Wir werden Zeuge davon, wie in Gewahrsam genommene Menschen in Zellen verschwinden. Dabei ergeben sich beklemmende Momente. In den schmucklosen Räumen der Zentrale findet aber auch soziales Leben statt. Die Situationen abseits der Dienstgeschäfte sind mitunter interessanter als die Dienstgeschäfte selbst.
Wolf pflegt einen rein beobachtenden Stil: Weder gibt es einen wirklichen Off-Text, noch eine abstrakte Erzählebene jenseits dessen, was gerade im Bild ist. Das, was wir sehen, ist die Handlung. Und da nun mal jeder Einsatz mit offenem Ende beginnt, kann es für das Publikum dabei durchaus spannend werden.
Sehr reflektierte Einlassungen
Und wie steht es nun um die Erforschung der inneren Einstellung der Polizist*innen? Da Wolf auf Nachfragen fast gänzlich verzichtet, sind wir vor allem auf die Selbstdarstellung der Menschen vor der Kamera angewiesen. Und wer würde sich dort schon freiwillig in schlechtem Licht zeigen?
Andererseits bleiben unbedachte Formulierungen und Reaktionen nicht aus. Insgesamt wirken viele Einlassungen aber sehr reflektiert. Dass NRW seit 20 Jahren die Akademisierung der Polizeiarbeit vorantreibt, scheint Spuren hinterlassen zu haben.
Im Konflikt mit Bürgerrechten
Bei den Betrachter*innen von außen bleibt ein Bild von Menschen haften, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen und möglichst gut erledigen wollen. Dass sie dabei in Konflikt mit Bürgerrechten kommen können, wird durchaus angedeutet, von der Regisseurin aber nicht nachhaltig weiterverfolgt. Das ist im Hinblick auf die aktuelle Debatte um die „Demokratietauglichkeit“ von Polizeikräften durchaus schade.
Zudem haftet den Menschen, die die Staatsmacht zu spüren bekommen, etwas Objekthaftes an, wenn auch notgedrungen: Um ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen, wurden sie weitgehend unkenntlich gemacht.
Hohes Bewußtsein für Rechtsstaatlichkeit
Dennoch ist dieses Mosaik vom Polizeialltag jenseits von Skandalen und Kapitalverbrechen durchaus sehenswert. Wolf möchte eine Diskussion über die Qualität von Polizeiarbeit anstoßen und jenen Beamt*innen „den Rücken stärken, die versuchen, ihren Beruf mit einem hohen Bewusstsein für Rechtsstaatlichkeit auszuüben“, heißt es vom Verleih. „Je mehr die Polizei, was Gender, sexuelle Orientierung und kulturelle und religiöse Hintergründe angeht, unserer Gesellschaft entspricht, desto besser.“ Wolfs Film legt nahe, dass an dieser Stelle noch viel zu tun ist.
Info: „Die Wache“ (Deutschland 2020), ein Film von Eva Wolf, 90 Minuten
Ab 25. Februar als Video on Demand auf https://www.kino-on-demand.com/movies/die-wache