Filmtipp „Die Kairo-Verschwörung“: Ein düsterer Thriller über Ägypten
Wer hier reinkommt, hat es geschafft. Im von sozialen wie wirtschaftlichen Dauerkrisen geplagten Ägypten wollen das ziemlich viele. Gemeint ist die al-Azhar-Universität in Kairo. Die mehr als 1.000 Jahre alte Hochschule ist das geistige Zentrum des sunnitischen Islam, bildet junge Menschen aber in vielerlei Fachrichtungen aus. Rund 375.000 Studierende werden an den über‘s Land verteilten Standorten karrierefit gemacht. Absolvent*innen haben beste Zukunftsaussichten.
Nicht nur bei der Studierendenzahl ist die Azhar ein Schwergewicht. Dieses Epizentrum der islamischen Welt hat viel Einfluss. Wer dort Oberhaupt, also Großimam, wird, ist aus Sicht der ägyptischen Behörden eine Frage der nationalen Sicherheit. Die Bedeutung dieses Amtes lässt sich mit der des Papstes für die katholische Kirche vergleichen.
Politische Intrigen und Ränkespiele
Eines Tages betritt der Stipendiat Adam dieses Reich hehrer Gelehrsamkeit, das in Wahrheit voller politischer Intrigen und Ränkespiele steckt. Das zeigt sich, als der Großimam stirbt und der Geheimdienst einen dem Regime genehmen Nachfolger installieren will.
Zunächst erkundet Adam staunend die prachtvollen Gebetsräume und Berge von Büchern. Was für ein Kontrast zu dem armen Fischerdorf, dem er dank eines Stipendiums entkommen ist. Doch lange währt diese Freude nicht. Um das Großimam-Projekt voranzutreiben, verpflichtet ihn ein Geheimdienstoffizier als Spitzel. Immer tiefer taucht Adam in verborgene Strukturen und das System der Macht ein. Und begibt sich dabei in größte Gefahr. Auch in die Gefahr, sich selbst zu verraten und seine Seele zu verlieren.
Die unheimliche Macht des Geheimdienstes
Mit dem Geheimdienst legt man sich nicht an: Diese Haltung hat Adam und haben auch die realen Ägypter*innen verinnerlicht. Immer wieder verschwinden Regimekritiker*innen spurlos oder werden gefoltert. Von westlichen Regierungen, die das Land militärisch und finanziell unterstützen, ist dazu wenig zu hören. Auch der schwedische Regisseur und Drehbuchautor Tarik Saleh, dessen Familie aus Ägypten stammt, hat seine Erfahrungen mit der Staatssicherheit gemacht: Er wurde mit einem Einreiseverbot belegt. Daher fanden die Dreharbeiten für diesen Film in der Türkei statt.
Grundsätzlich ist „Die Kairo-Verschwörung“ als klassischer Thriller angelegt. Wir begegnen Institutionen und Akteuren, deren Handlungsmotive zunächst verborgen bleiben, während die Atmosphäre immer bedrohlicher wird und sich eine Eskalation abzeichnet. Indem das Ganze in der sprichwörtlich abgeschlossenen Welt einer reinen Männer-Fakultät angesiedelt wird, offenbart sich uns, bei aller Fiktionalität, eine Welt, aus der sonst wenig nach außen dringt.
Ein ganz neuartiges Thriller-Erlebnis
Das gilt nicht nur für die geistigen und politischen Konflikte innerhalb der trutzigen Mauern mitten in Kairo. Mit anderen Worten: Das ungewohnte Setting macht ein ganz neuartiges Thriller-Erlebnis möglich. Saleh – unter anderem bekannt durch seinen Film „Die Nile Hilton Affäre“ und die Serie „Westworld“ – ließ sich dabei von Umberto Ecos epochalem Kloster-Krimi „Der Name der Rose“ inspirieren.
Dramaturgie, Ensemble und Bildsprache sorgen dafür, dass einen und eine dieser Film in seinen Bann zieht. Adam und sein an einen verhuschten Hochschullehrer erinnernder Führungsoffizier Ibrahim werden von anderen oft unterschätzt. Das verschafft der Handlung immer wieder Raum für überraschende Wendungen. Zugleich gewinnt der vor allem für komische Rollen bekannte Darsteller Fares Fares („Chernobyl“) Ibrahim Nuancen ab, die zumindest vordergründig einen Kontrast zu der Brutalität seiner Branche bilden.
Pointiertes Sittengemälde der Eliten Ägyptens
Auf der Bildebene wird nichts unversucht gelassen, um das Bedrohliche, aber auch die Schönheit von Adams neuer Umgebung einzufangen, wenngleich in einigen Szenen das atmosphärische Moment des islamischen Prachtkomplexes auch überstrapaziert oder mitunter sogar auf eine irritierende Hochglanz-Ästhetik gesetzt wird.
„Die Kairo-Verschwörung“ funktioniert bestens als ebenso intimes wie düsteres Drama um einen jungen Menschen, der in den Fängen einer skrupellosen Macht beweisen muss, dass er mehr ist als „nur“ der ahnungslose Sohn eines Analphabeten, der sich benutzen lässt. Zugleich zeichnet der Film ein pointiertes aber keinesfalls überzogenes Sittengemälde der Eliten in Ägypten.
Für dieses packende Mikro-Makro-Wechselspiel gab es 2022 bei den Filmfestspielen in Cannes verdientermaßen den Preis für das beste Drehbuch. Außerdem landete die Produktion auf der Oscar-Shortlist in der Kategorie „Best International Feature Film“.
Info: „Die Kairo-Verschwörung“ (Schweden, Frankreich, Finnland, Dänemark 2022), ein Film von Tarik Saleh, Kamera: Pierre Aïm, mit Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri, Makram Khoury u.a., 125 Minuten.
Kinostart: 6. April